Neuer Generalstreik in Prag?

Wieder Hunderttausende auf dem Prager Wenzelsplatz / Für die erneute Umbildung der Regierung, Demokratisierung und Auflösung der Milizen / Generalstreik für den 11. Dezember angedroht  ■  Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) - Am Sonntag wurde die neue Regierung gebildet

-gestern stand sie bereits auf dem Prüfstand. Wie in der DDR wollen sich die Menschen auch in der CSSR nicht mehr von ihren durch nichts legitimierten Führern manipulieren lassen. Hunderttausende kamen auch gestern wieder zur Abenddemonstration auf dem Wenzelsplatz. „Lang lebe das Forum, lang lebe Havel!“ riefen die Demonstranten. Sprecher der Studenten, die ihren Streik fortsetzen, kritisierten die neue Regierung. Aus allen großen Städten des Landes werden Demonstrationen gemeldet. Schon am Nachmittag hatten Demonstranten eine Menschenkette um das Prager Parlament gebildet.

Und die Botschaft der Demonstranten ist klar: Wenn die Regierung nicht wieder umgebildet wird, wenn nicht endlich Innen- und Verteidigungsministerium den Kommunisten genommen und Unabhängigen übertragen werden, wenn die verhaßten Altstalinisten Jaromir Johanes (Außenminister) und Antonin Krumnikel (Energieminister) sowie Staatspräsident Gustav Husak nicht endlich ihren Hut nehmen, wenn die Volksmilizen und die Parteiorganisationen in den Betrieben nicht aufgelöst und alle politischen Gefangenen freigelassen werden, dann steht der Generalsteik ins Haus.

Zur Bekräftigung legte das Bürgerforum schon den nächsten Montag, den 11. Dezember, als Termin für den allgemeinen Ausstand fest.

Immerhin, die feste Haltung des Bürgerforums und der Streikbeschluß zeigten bereits leichte Wirkung: Präsident Husak ließ am Sonntag abend durchsickern, er erwäge seinen Rücktritt. Auch die von Ministerpräsident Adamec angekündigte Bildung einer Historikergruppe aus allen Warschauer-Pakt-Staaten, die am Einmarsch in die CSSR 1968 beteiligt waren, über die Niederschlagung des Prager Frühlings wird von den BürgerInnen positiv bewertet. Doch bei den von Adamec angekündigten Gesetzesmaßnahmen Wahlgesetz, Gesetze zur Organisations-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die Ausarbeitung einer neuen Verfassung - herrscht weiterhin Skepsis. Wie sollen diese Vorhaben mit den alten Leuten im Parlament und der kommunistischen Regierung zu einem guten Abschluß geführt werden? Zeigt denn nicht, daß trotz der formellen Abschaffung der führenden Rolle der Partei die Kommunisten doch weiterhin das Sagen haben?

Außerdem macht es dem Bürgerforum Sorge, daß sich der Apparat der Partei und die konservativen Strömungen in der Gesellschaft schon zu einem Bündnis zu formieren beginnen. Sowohl viele Beamte wie auch die Bauernorganisation, das Offizierskorps in der Armee sowie ein Teil der Arbeiter sind bisher keineswegs für die Reform gewonnen. Auf dem flachen Land ist die Macht des Apparats und der Polizei nur wenig angekratzt. Die Gerüchte um ein Eingreifen der Armee sind noch keineswegs verstummt.

Und die Regierungsumbildung selbst zeigt, daß nicht einmal Ministerpräsident Adamec über großen politischen Spielraum verfügt, hatte er doch ursprünglich die Neubesetzung der Schlüsselministerien mit Parteilosen durchblicken lassen. So blicken auch die Oppositionellen jetzt nach Moskau: Auf dem gestern begonnenen Gipfeltreffen der Warschauer-Pakt -Staaten, an dem Ministerpräsident Adamec und Parteichef Urbanek teilnehmen, werden auch die innenpolitischen Weichen für die CSSR gestellt.

Gegen die Ernennung von Alexander Dubcek zum Präsidenten der Tschechoslowakei hat sich am Montag in Prag der Schriftsteller Ludvik Vaculik gewandt. Dies wäre genauso, als setzte man dem „Sozialismus mit menschlichem Gesicht eine Totenmaske auf“, erklärte der 63jährige Weggefährte des Dramatikers Vaclav Havel, des Oppositionsführers wider Willen, in einem Interview. Die „neue Generation will weiter voranschreiten„; Dubcek aber repräsentiere nicht mehr die Zukunft des Landes.