piwik no script img

„Ohne die Gefangenen bräche die RAF zusammen“

■ Für Christian Lochte, den Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, ist die Zusammenlegung der RAF-Gefangenen „längerfristig die conditio sine qua non“ für die Beendigung des bewaffneten Kampfes / Auch nach dem Anschlag gegen Herrhausen bleibt Lochte auf Distanz zur Union und Generalbundesanwalt Rebmann

taz: Herr Lochte, nach dem Anschlag in Bad Homburg hat es zum Teil herbe Kritik an den hessischen Sicherheitsbehörden gegeben. Könnte Alfred Herrhausen noch leben, wenn er in Hamburg, in ihrem Zuständigkeitsbereich, gewohnt hätte?

Christian Lochte: Das ist eine verführerische Frage. Denn jede Antwort darauf kann nur falsch verstanden werden. Sie lenkt auch ab von der eigentlichen Problematik. Wir sind in Hamburg zum Glück von einem vergleichbaren Anschlag verschont worden. Eine Zeitlang hat hier die höchstgefährdete Person der Bundesrepublik gelebt, der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt. Wir haben da in Zusammenarbeit mit der Polizei ein Schutzsystem aufgezogen, das völlig unabhängig war von seinem Schutz durch gepanzerte Fahrzeuge und Begleitkommandos. Das war natürlich arbeitsintensiv und hat viele Kräfte gebunden. Aber es war so angelegt, daß man Vorbereitungen zu einem Anschlag nach menschlichem Ermessen hätte mitbekommen müssen. Eine hundertprozentige Garantie abzugeben, wäre natürlich vermessen. Das kann niemand für sich in Anspruch nehmen.

War die Situation in Hessen, die Sicherung von Herrn Herrhausen, denn entscheidend anders?

Wohl nicht. Einen absoluten Schutz kann es eben nicht geben. Die eigentliche Problematik bei der Konzeption von Schutzmaßnahmen - losgelöst vom aktuellen Fall - liegt woanders. Das hat etwas zu tun mit der Frage, wie habe ich mir die RAF vorzustellen, wie denken sie und wieweit beeinflußt ihr Denken auch ihr Handeln? Dazu gehört als erstes, daß man anerkennt, daß es sich um politisch motivierte Täter handelt. Sie handeln aus einer sehr rigiden politischen Vorstellung heraus - da kann ich hundertmal zu Recht sagen, daß die mir völlig fremd, daß sie fanatisch und überzogen ist oder sich völlig von den Realitäten entfernt hat, daß das kein Marxismus-Leninismus mehr ist und und und

-es ändert nichts daran: Sie denken so, und das muß ich zur Grundlage machen. Dann kann ich viele Gefahren von vornherein ausschließen und sagen: Das verbieten die sich selber.

Ein krasses Beispiel aus den siebziger Jahren. Da gab es eine Quellenmeldung aus dem Dunstkreis der RAF, man wolle sich des Kindergartens des Justizministeriums in Bonn bemächtigen, die Kinder als Geiseln nehmen und damit alle Gefangenen freipressen. Eine solche Meldung kann einfach nicht stimmen. Kinder sind völlig tabu für sie, das kann ich ausschließen. Das ist damals nur von wenigen so gesehen worden. Da wird nicht differenziert gedacht, sondern gesagt, wir müssen uns immer auf das Schlimmste einstellen. Dadurch wird bei der Gefahreneinschätzung vieles unterstellt, was durch das Denken auf der anderen Seite, auf seiten der RAF, von vornherein ausgeschlossen ist.

Es mangelt den Sicherheitsbehörden an der Fähigkeit, sich in die Gedankenwelt der RAF hineinzuversetzen?

Ja. Von der Polizei können Sie das auch nicht verlangen. Die Polizei handelt in diesem Bereich genau so, wie sie das für alle anderen Fälle gelernt hat. Sie stellt sich auf das Schlimmste ein. Ich meine, der Verfassungsschutz hat eine Bringschuld. Er muß die Polizei mehr als bisher beraten, damit sie zu einer größeren Festigkeit bei der Gefahrenbeurteilung kommt. Welche Gefahren gibt es, und welche gibt es nicht. Beides ist genauso wichtig, weil dadurch eine Konzentration der Kräfte auf die wirklichen Gefahren möglich würde.

Natürlich kann ich nie ausschließen, daß ein Verrückter mal wieder die Waffe gegen einen Polizisten zieht. Aber am Tag nach den Polizistenmorden an der Startbahn-West konnte ich mich hinstellen und sagen: So wie wir die Autonomen kennen, war das nicht nur erstmalig, das war auch einmalig. Es war sofort klar, das müssen wenige gewesen sein, das ist auf keinen Fall die neue Linie der Autonomen. Die Urteilssicherheit kam durch eine gute Einblickstiefe. Die ergibt sich zu etwa vier Fünfteln aus der kontinuierlichen Analyse offenen Materials und andererseits zu einem Fünftel aus den Informationen von V-Leuten. Die Funktion guter V -Leute muß schlicht sein, die Analysefähigkeit zu größerer Urteilssicherheit und Urteilskraft zu verdichten, so daß ich bestimmte Dinge von vornherein ausschließen kann. Der Polizei ist das nicht gestattet, sie hat also im Bereich des Terrorismus oder der Autonomen gar nicht die richtigen Quellen und kann deshalb auch nicht zu sicheren Urteilen kommen.

Läßt sich auf Bad Homburg übertragen, was sie bezüglich der Autonomen hier entwickeln?

Ja, das läßt sich so zu Ende denken und hat zu tun mit guten V-Leuten auch im Umfeld der RAF. Wie sich die sogenannten Legalen und die Anti-Impis bewegen und wie sie diskutieren, das ist etwa deckungsgleich mit dem, was auf der Kommandoebene der RAF läuft. Wenn ich da über Jahre hinweg meine Erfahrungen mit Hilfe guter Quellen gesammelt habe, kann ich auch in diesem Bereich sagen, was die RAF sich selbst verbietet und was nicht.

Bisher wurde stets davon ausgegangen, daß Anschläge wie in Bad Homburg, von mindestens zehn Leuten vorbereitet und durchgeführt werden müssen. Dementsprechend wurde unmittelbar nach dem Attentat so ziemlich alles erneut zur Fahndung ausgeschrieben, was sich ohnehin auf den RAF -Fahndungsplakaten findet. Auf der anderen Seite heißt es, nur ganz wenige seien direkt an der Ausführung beteiligt gewesen.

Nach wie vor gehören zehn bis 15 Personen dem Untergrundkommando an. Nach wie vor ist dieses Kommando ein Kollektiv. Anders als früher wird aber die Tat als solche heute von weniger, vielleicht von zwei, drei Leuten, ausgeführt. Es ist aber nicht vorstellbar, daß das Attentat gegen Herrn Herrhausen drei Leute gemacht haben, losgelöst von den anderen. Daß das läuft, wußte jeder, der zum Untergrundkommando gehört.

Aber noch im Frühjahr war von verschiedener Seite, auch aus dem Sicherheitsapparat heraus, öffentlich bezweifelt worden, daß die Kommandogruppe, so sie denn überhaupt noch als solche existiert, sich in der Bundesrepublik aufhält.

Da bin ich skeptisch. Daß sie sich in den siebziger Jahren überwiegend nicht im Inland aufgehalten haben, hing zusammen mit ihrem Zusammengehen mit palästinensischen Gruppen. Aber danach gab es die bewußte, ideologisch begründete Rückkehr in die „Metropolen“ mit ständigem Aufenthalt in Westeuropa. Der Hauptaufenthalt ist heute wieder in der Bundesrepublik.

Wie lange, glauben Sie, hat die Vorbereitung des Herrhausen -Attentats gedauert?

Die erste Ausspähung der Wohnung und ihrer Umgebung liegt bestimmt länger als zwei Jahre zurück. Wenn das dann aktueller wird, müssen sie wieder hin, Veränderungen registrieren und die konkreten Tatvorbereitungen treffen. Vor allem müssen sie ausschließen können, daß beispielsweise Kinder an einer Bushaltestelle oder etwa entgegenkommende Fahrzeuge getroffen werden. Das alles ist nicht ganz einfach und dauert natürlich seine Zeit.

Aus den politischen Äußerungen nach dem Anschlag, insbesondere von Innenminister Schäuble, spricht eine gewisse Resignation. Da heißt es, wir können derartige Anschläge nie ausschließen. In Klammern: Wer in der Wirtschaft oder der Politik eine exponierte Stellung hat, muß mit diesem Risiko leben. Das ist faktisch das Eingeständnis, daß die RAF, selbst wenn sie nur noch aus wenigen Personen besteht, letztlich „militärisch“ nicht zu schlagen ist. Was bleibt dann?

Daß der Innenminister nun in einer Klarheit, in der das früher nicht zu hören war, erklärt, daß man nicht jeden heimtückischen Anschlag verhindern kann, halte ich für eine sehr kluge Bemerkung. Das ist einfach die Realität. Daß denen das immer mal gelingen kann, hat aber nichts zu tun mit der Stärke, dem Bestand und der Stabilität der Bundesrepublik. Das politisch in dieser Klarheit zu sagen, auch an die Adresse der RAF, ist richtig und war längst überfällig.

Aber mit einem solchen Eingeständnis kann man es doch nicht bewenden lassen. Sie denken doch sicherlich über Lösungsmöglichkeiten jenseits der „militärischen“ Auseinandersetzung nach. Vor einem halben Jahr, während des Hungerstreiks der RAF-Gefangenen, waren ja Hoffnungen weit verbreitet, daß am Ende die Abkehr vom bewaffneten Kampf in der Bundesrepublik stehen könnte.

Also zunächst: Die Sicherheitskonzepte als solche können und werden auch ohne neue Gesetze noch verbessert werden. Das ist der eine Weg. Der andere Gedanke ist ebenfalls klar. Man kann nicht davon ausgehen, daß diese fanatischen Politsektierer, die ein so enges Weltbild haben, sich durch den bürgerlichen Staat überzeugen lassen. Der erreicht sie ja gar nicht. Auch ihre Bekennerbriefe richten sich nicht an den Staat, sondern an andere revolutionäre Kräfte, an andere Linksgruppen. Eine Erklärung mit dem Tenor „Wir haben den bewaffneten Kampf aufgegeben“ ist deshalb nur zu erwarten, wenn diese Gruppen eine klare Position gegenüber der RAF beziehen und im Wege der politischen Diskussion versuchen, sie davon zu überzeugen, daß sie völlig auf dem Holzweg sind. Eine solche politische Lösung ist nur möglich, wenn diese Diskussion klar geführt wird. Insofern war die Dialog -Initiative der Grünen eine außerordentlich positive Sache.

Es gab ja im Verlauf des Hungerstreiks eine Tendenz, die sachlich nicht im Widerspruch stand zu der Dialog -Initiative. Die evangelische Kirche hat offenbar während und nach dem Hungerstreik ähnliches versucht und wurde von den Gefangenen auch als Vermittlerin lange Zeit akzeptiert.

Gut, aber was mich an der Diskussion über die Zusammenlegung gestört hat ist: Sie können mit den RAF -Gefangenen nicht im Sinne von Friede, Freude, Eierkuchen diskutieren, weder als politische Gruppierung noch als evangelische Kirche. Das können oder müssen vielleicht nur die Angehörigen. Das muß eine politisch harte Diskussion sein, in der von Anfang klar ist: Mit dem bewaffneten Kampf muß Schluß sein.

Aber nicht als Voraussetzung für den Einstieg in die Diskussion, sondern als mögliches Ergebnis.

Gut, aber die Klarheit in der Zielsetzung muß geäußert werden. Da ist vieles verschwommen gelaufen. Zum Beispiel ist die Dialog-Initiative von Frau Vollmer (Bundestagsabgeordnete der Grünen, d.Red.) in dem Augenblick den Bach runtergegangen, als die ablehnende Antwort der RAF mit einer neuen Zusammenlegungskampagne aufgefangenen werden konnte. Dafür haben die dann leider viele nützliche politische Idioten gefunden.

Das kann man so interpretieren. Aber hätte nicht auch ein Eingehen auf die Zusammenlegungsforderungen der Gefangenen zum selben Ergebnis führen können? Wenn Sie sich heute die Leute auf den Fahndungsplakaten ansehen, stellt sich heraus, daß praktisch alle über ihr Engagement gegen die Haftbedingungen zur RAF gekommen sind. Der Verfassungschutz in Köln, aber auch Sie, haben in einem frühen Stadium des Hungerstreiks ein weitgehendes Eingehen auf die Gefangenenforderungen empfohlen. Der Vorschlag wurde insbesondere von den unionsregierten Ländern und Herrn Rebmann abgelehnt.

Der ursprüngliche Gedanke war älter als der Hungerstreik. Aber er

älter als der Hungerstreik. Aber er wurde von keinem einzigen Justizministerium inhaltlich befürwortet. Da brauchen Sie gar keinen Unterschied machen zwischen Nord und Süd, CDU oder SPD. Dann, während des Hungerstreiks, war es überhaupt nicht mehr möglich, damit weitervoranzukommen. Voraussetzung dafür, daß so ein Dialogangebot überhaupt richtig ankommt und praktiziert werden kann, wäre gewesen, daß es schon längst vorweg eine Zusammenlegung gegeben hätte.

Also ohne einen Hungerstreik?

Ja natürlich. Ein Dialogangebot setzt voraus, daß die Haftbedingungen anders gestaltet sind. Deshalb werden wir, was die Zusammenlegung angeht, nicht nachlassen. Längerfristig ist das für mich die conditio sine qua non. Die ganze Verkrampfung, der ganze Kampf und alles, was damit zusammenhängt auf seiten der RAF muß weg sein. Erst dann können politische Initiativen mit Aussicht auf Erfolg eingreifen.

Wir möchten zurückkommen auf Chancen, die möglicherweise während und nach dem Hungerstreik vertan wurden. Es waren ja nicht nur naive Exegeten der Hungerstreikerklärungen, die damals glaubten, bei den Gefangenen steht eine neue Positionsbestimmung ins Haus. Der Eindruck war, die stehen vor einer Weggabelung: Entweder weiter so oder Aufgabe des bewaffneten Kampfes. Haben wir heute, nach dem Mord an Herrhausen die Quittung für die harte Haltung des Staates beim Hungerstreik?

Nein. Ich muß es ablehnen, eine Verbindung zwischen dem Ergebnis des Hungerstreiks und der jetzigen Tat herzustellen. Ich sehe diesen Zusammenhang weder im Positiven noch im Negativen: Die Tat ist nicht vorbereitet worden, weil im Hungerstreik zuwenig auf die Forderungen eingegangen wurde, noch umgekehrt, weil es als Ergebnis Lockerungen gegeben hat.

Man muß das ja nicht streng kausal sehen. Aber Sie kommen doch auch intern nicht um die Beantwortung der Frage herum, ob der Verlauf des Hungerstreiks die Entscheidung für diesen Anschlag wie auch immer beeinflußt hat.

Wir haben das während des gesamten Hungerstreiks hin- und hergewendet: Die Dinge, die für eine Veränderung sprachen, wo man am Ende als optimistisches Ergebnis die Erklärung in der taz vor sich sah: „Wir haben den bewaffneten Kampf eingestellt.“ Dafür gab es viele Indizien. Aber es gab auch andere Punkte, die dagegen sprachen. Als der Hungerstreik im Sommer zu Ende war, gab es erstmalig seit Gründung der RAF eine offene Situation:

Die Erklärung in der taz hätte mich genausowenig überrascht wie die Schreckensmeldung über einen neuen Anschlag. Es gab zu dieser Zeit im unmittelbaren Anhängerbereich der RAF eine Desorientierung oder - wie Pohl das selber sagt - eine Lähmung. Wegen dieser unklaren Situation konnten wir im Sommer auch ein bißchen Entwarnung geben. Wenn die Verunsicherung quer durch die eigenen Reihen geht, dann ist das im Kommando genauso. In Zeiten der Unsicherheit machen die nichts.

In unserer Zeitung haben wir den von Ihnen erwähnten Pohl -Brief ein „Dokument der Verbitterung“ genannt, weil er das beschreibt, was nach dem Hungerstreik passiert, beziehungsweise nicht passiert ist. War der entscheidende Fehler von seiten des Staates nicht der, daß man auch nach dem Hungerstreik, als die Öffentlichkeit kein besonderes Interesse mehr gezeigt hat, nicht weiter auf die Gefangenen zugegangen ist?

Das wäre nur dann ein Fehler gewesen, wenn man sich sicher hätte sein können, daß mit weiteren Arrangements, der bewaffnete Kampf draußen endgültig hätte beendet werden können. Ich glaube das so nicht. Die Frage ist, ob die draußen wirklich den bewaffneten Kampf aufgegeben hätten, wenn man weitere Zugeständnisse gemacht hätte und in der Haft die Front befriedet worden wäre. Das muß ich aber mit einem großen Fragezeichen versehen.

Natürlich ist das Spekulation, aber die Warscheinlichkeit wäre größer gewesen.

Solange verhandelt wird, wird in der Tat nicht gebombt. Wenn auf der einen Seite gesagt wird, der Staat habe nicht schnell genug reagiert, dann kann auf der anderen Seite genausogut gesagt werden, wer sich in die Politik einmischt

-und das war ja der Versuch der RAF: Über die politische Breite zur Durchsetzung anderer Haftbedingungen zu kommen -, der muß auch die Gesetzmäßigkeiten des politischen und verwaltungsmäßigen Ablaufs mit einkalkulieren.

Bis zu dem Zeitpunkt, als Pohl zu dem Ergebnis gekommen ist, es bewegt sich nichts, gab es doch schon einige Fortschritte. Aber die Vorstellung der RAF ist, daß man nur auf einen Knopf zu drücken braucht, und dann bewegt sich alles in der Republik. Das gipfelt darin, einfach Personen „auszuknipsen“, um das System zu treffen.

Auch von Ihren Kollegen in anderen Landesämtern wird behauptet, daß der Pohl-Brief die Initialzündung für weitere Aktionen außerhalb der Gefängnisse gewesen sei. Woraus schließen Sie eigentlich, daß es diesen engen Kontakt zwischen den Gefangenen und der Kommandoebene überhaupt gibt?

Der Kontakt läuft über die sogenannten Legalen. Nach wie vor ist davon auszugehen, daß ein bestimmter Teil dieser bundesweit etwa 250 Personen die Nahtstelle und Scharnierfunktion hat. Sie tragen die wichtigen politischen Botschaften zum Kommando weiter. Das Untergrundkommando wußte also schon früh von dem beabsichtigten Hungerstreik. Den Häftlingen wurde signalisiert, daß der Kurs „Zusammenlegung - Hungerstreik“ nicht gestört wird und es solange eine Feuerpause gibt. Die Häftlinge konnten also davon ausgehen, daß ihnen das Kommando nicht in den Rücken fällt.

Nachdem der Hungerstreik beendet, das Thema tot und nur noch vom Dialog die Rede war, hat Helmut Pohl die Sache an das Untergrundkommando zurückgeben und gesagt: „Ihr seid wieder frei, handelt so, wie ihr es für richtig haltet.“ Die Überlegungen, daß der Anschlag hätte verhindert werden können, wenn man den Brief abgefangen hätte, finde ich töricht. Wir müssen nach Lage der Dinge davon ausgehen, daß der zentrale Gedanke schon vor Abgang des Briefes draußen war. Das belegen auch die Vorbereitungshandlungen für das Attentat, aus der Zeit unmittelbar bevor der Brief die Haftanstalt verließ.

Die Diskussionen, darf man so einen Brief rauslassen, sind insofern völlig müßig. Man kann nur sagen, daß das Kommando in dem Brief noch einmal ausführlich nachlesen konnte, was es als Signal sicher schon erreicht hatte. Darüber hinaus hat der Brief die Funktion, auch dem Umfeld zu sagen „Ihr seid wieder frei, nun kämpft nach eigenem Gusto.“ Er sollte außerdem die Kritik am Hungerstreik politisch abfangen.

Viele der Unterstützer hatten im Mai eigentlich die Fortsetzung des Hungerstreiks erwartet. Nach dem Abbruch und dem Ausbleiben einer Erklärung fühlten sie sich im Stich gelassen und politisch manipuliert. Der Brief sollte unter diese Irritationen einen Schlußstrich ziehen.

Angenommen in der taz hätte die Erklärung gestanden: „Der Kampf geht weiter, aber ohne Waffen.“ Reicht denn die Autorität der Gefangenen noch aus, um das sozusagen anzuordnen. Anders gefragt, würde Herr Herrhausen noch leben, wenn es diese Absage aus den Gefängnissen gegeben hätte?

Die Vorstellung, daß eine RAF draußen als Kommando und „legaler Arm“ existieren und gegen den Willen der Gefangenen einen bewaffneten Kampf weiter führen könnte, ist aus meiner Sicht absurd. Die Gefangenen sind im Gebäude der RAF eine wichtige Säule. Würde sie wegbrechen, bräche die RAF zusammen.

Die Gefangenen sagen aber, im Knast gibt es keine RAF.

Das ist nur ein taktisches Moment. Sie wollen der Bundesanwaltschaft und den Strafverfolgungsbehörden sagen, die RAF ist ausschließlich das Untergrundkommando. Sie sagen ja auch, der „legale Arm“ sei nicht die RAF. Seit sie gemerkt haben, daß dieser Begriff, den Ulrike Meinhof geprägt hat, zu Anklagen gegen Unterstützer führt, benutzen sie ihn nicht mehr. Für mich ist die RAF nach wie vor ein festes Personen- und ein fest verzahntes ideologisches Gebäude.

Aus vielen Schreiben der Gefangenen während des Hungerstreik geht aber hervor, daß sie die Politik der RAF auch grundsätzlich in Frage stellen wollten. Eva Haule schrieb zum Beispiel, es sei bewiesen, daß der bewaffnete Kampf in den Metropolen geführt werden könne. Sie stellte aber gleichzeitig die Frage, ob er noch weitergeführt werden soll. Sie behaupten dagegen, Anschläge gibt es nur dann, wenn die ideologische Diskussion abgeschlossen ist und es eine einheitliche Meinung gibt.

Die Äußerung von Frau Haule wird von mir dahingehend interpretiert, daß mit dem bewaffneten Kampf draußen Schluß ist, wenn das die Meinung aller Häftlinge ist. Dann gibt es auch kein Kommando mehr. Wenn Helmut Pohl so einen Brief im Namen der Häftlinge geschrieben hätte, dann hätte ich gesagt, hier haben wir den Beginn des Ausstiegs aus dem bewaffneten Kampf.

Von seiten des Verfassungsschutzes sind schon lange vor dem Hungerstreik Angebote an mögliche RAF-Aussteiger ausgesandt worden. Da gibt es beispielsweise die berühmte Telefonnummer beim Kölner Bundesamt. Bleiben Sie auch nach dem Anschlag auf Herrhausen bei dieser Linie?

Sie wird fortgesetzt. Leider hat man sich schon früh um jede Erfolgsmöglichkeit gebracht, weil man gleichzeitig die Kronzeugenregelung propagiert hat. Im Grunde genommen hat man damit die Aussteigerprogramme kaputt gemacht, weil beides im völligen Widerspruch zueinander steht. Obwohl es nach so einem Anschlag schwer verständlich erscheint, sage ich noch einmal: Es handelt sich hier um politische Überzeugungstäter. Das sind doch keine Neigungsverbrecher. Sie sind nicht nur überzeugt, daß das, was sie machen, richtig ist. Sie holen ihre eigentliche moralische Antriebskraft aus dem Bezug zur Dritten Welt.

Sie kämpfen dafür, daß Millionen von Kindern in Südamerika, in Afrika und Asien eine Zukunft ohne Ausbeutung und Hunger haben und verstehen sich als Kämpfer gegen die Herrschaft des Geldes.

Sie haben sich in ihrer Wahnvorstellung selbst auf ein hohes moralisches Podest gestellt. Wenn dann jemand kommt und appelliert, „Verrate uns etwas gegen Geld“, oder „Verrate uns was, und du selbst wirst nicht bestraft“, fühlen sie sich in ihrem moralischen Background und auch politisch nur bestätigt.

In anderen Ländern wie Spanien, Irland oder Italien hat es direkte Verhandlungen oder mindestens Bemühungen dazu von seiten der Regierungen mit der jeweiligen Guerilla gegeben. Ist so etwas auch in der Bundesrepublik vorstellbar?

Zur Zeit ist das überhaupt kein Thema. Außerdem gibt es einen Unterschied. Die ETA und die IRA haben einen Teil der Bevölkerung - wenn auch nicht in der Art wie sie kämpfen hinter sich. Wenn da eine Regierung praktisch in politische Verhandlungen eintritt, kann ich das nachvollziehen, weil es sinnvoll ist. Aber wir können den Kampf der ETA oder der IRA nicht dem der RAF vergleichen. Ob ein Staat so etwas prinzipiell machen soll, dafür gibt es keine festen Grundregeln. Wenn Sie meinen, daß der Staat grundsätzlich zu Zugeständnissen bereit sein soll, um ein Ende des bewaffneten Kampfs zu erreichen, dann würde ich das aus pragmatischen Gründen für richtig halten.

Sollte es aus den Gefängnissen ein Signal zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes geben, wäre es dann aus ihrer Sicht sinnvoll, Kontakt mit den Leuten draußen aufzunehmen?

Natürlich. Das wäre vernünftig.

Das Gespräch führten Wolfgang Gast und Gerd Rosenkran

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen