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Pinochets Wirtschaftsmodell für die Zukunft festgezurrt

Auch die jetzige Opposition will nach möglichem Wahlsieg am Donnerstag an neoliberalem System festhalten / Zentralbankgesetz und Privatisierung unumstößlich?  ■  Aus Santiago Gaby Weber

Am 14. Dezember werden die chilenischen Wähler nach 16 Jahren Diktatur an die Urnen gerufen: Entscheiden dürfen sie über den neuen Präsidenten, nicht jedoch über das Wirtschaftsmodell. Das neoliberale System der Militärs weiterzuführen ist erklärte Absicht des Kandidaten der Opposition, Patricio Aylwins. Und selbst, wenn ihm der Sinn nach einem ökonomischen Wandel stünde - ihm sind die Hände gebunden. Das aus dem Amt scheidende Regime hat sein Modell durch eine Palette von Gesetzen für die Zukunft festgeschrieben.

Mitte August war die Zentralbank in ein „autonomes Unternehmen“ verwandelt worden. Ihre Beschlüsse sind für die neue Regierung bindend. Der künftige Finanzminister muß zwar - so heißt es im Gesetz - „informiert“ werden, er hat aber nur Rede- und kein Stimmrecht. Sein Veto kann eine Entscheidung maximal 14 Tage herauszögern. Die Zentralbank regelt Geldmenge, Wechselkurs und Zinssätze, entscheidet damit über Investition und Produktion und verhandelt auch die Gewinnrückführung und die Auslandsschuld. Hatte das Oppositionsbündnis noch in seinem Regierungsprogramm angekündigt, diese Zwangsjacke rückgängig zu machen, so hat sie sich in dieser Woche auf einen Kompromiß geeinigt: Die Christdemokratie und die Sozialdemokraten dürfen jeweils einen Direktor in den fünfköpfigen Aufsichtsrat stellen.

Die beabsichtigten Privatisierungen wurden in den letzten Monaten unter Dach und Fach gebracht. Insgesamt wurden 22 Staatsbetriebe zu 100 Prozent privatisiert, acht davon in den vergangenen 14 Monaten. Die Opposition hat zwar versprochen, alle Privatisierungen zu annullieren, die nach dem Plebiszit vom Oktober 1988 abgeschlossen wurden.

An dieser Absicht darf gezweifelt werden, denn die seit diesem Datum verkauften Aktien gingen hauptsächlich an Militärs sowie - unter dem Stichwort Volkskapitalismus - an Kleinaktionäre. Diese Verteilung soll, so eine gerade in Santiago erschienene Studie, „als Polster gegen jeden Versuch dienen, die Privatisierung rückgängig zu machen“.

Ausgemachte Sache und bereits mit der Unterschrift Pinochets versehen ist die Privatisierung der „banco de estado“. Die staatliche Publikumsbank, über deren Schalter die Hälfte aller chilenischen Geldgeschäfte laufen, sei eine „unzulässige Konkurrenz für die privaten Banken“, heißt es in der Begründung. 47 Prozent ihrer Aktien sollen unter den 5,8 Millionen Sparern und 33 Prozent unter den Angestellten der Bank aufgeteilt werden.

Mit dieser Entscheidung, so die Oppositionszeitschrift 'Analisis‘, soll der „demokratischen Regierung der alte Kurs aufgezwungen werden“, man raube ihr das Instrument für eine gezielte Kreditvergabe, etwa an mittelständische Unternehmen oder Kleinbauern.Noch vor dem 11. März, der Regierungsübergabe, soll auch das Fernsehen privatisiert sein. Wer die Kanäle erhält, ist noch unklar. Pinochets Entscheidungskommission besteht aus Militärs und seinem ehemaligen Außenminister del Valle.

Die Diktatur hat sich den Zeitpunkt ihres Abtritts sehr genau ausgesucht. Noch kann sie sich mit Exporterfolgen brüsten. Doch das Modell ist an seine ökologischen Grenzen gestoßen. Weinstöcke leben nur zehn Jahre und müssen jetzt erneuert werden. Die einst fischreiche Pazifikküste ist von großen Fangflotten und den japanischen Fabrikschiffen fast leergefischt. Auch in der Holzindustrie ist ein Ende des Booms absehbar. Vor allem die Japaner und Neuseeländer nutzten die letzten Monate aus und arbeiten rund um die Uhr. Jeden Monat verläßt allein aus Puerto Monnt ein Schiff mit 30.000 Tonnen Splitter aus Naturwald den Hafen in Richtung Tokio. Die gerodeten Flächen werden bestenfalls mit Kiefern oder Eukalyptus aufgeforstet, die 20 Jahre zum Nachwachsen brauchen.

Die vielgerühmte „Grüne Revolution“ ist am Ende. „Die Natur rächt sich gegen den massiven Einsatz von Pestiziden“, so Forstwirt Mauricio Fierro von der Umweltschutzorganisation „Codeff“. Ein erster Vorgeschmack war die Entdeckung von Zyankali in chilenischen Weintrauben durch US-amerikanische Zollbeamte. Der Schaden, über eine Milliarde Dollar, ging wahrscheinlich auf Rückstände von Insektenvernichtungsmitteln zurück.

Viele Schädlinge sind gegen die Chemikalien immun geworden, die Erträge werden geringer und die Investitionskosten steigen. Das wird immer unrentabler, und einige Unternehmer haben schon ihre Zelte abgebrochen. Sie hinterlassen dem demokratischen Chile Chemikalien-verseuchte Äcker, ein leergefischtes Meer und Steppe-Trümmer, deren Beseitigung viel Geld kosten wird.

Aber woher will Aylwin das Geld für Umweltschutz und die dringendsten Sozialprogramme nehmen? Offiziellen Angaben zufolge leben heute 60 von hundert Chilenen unterhalb der Armutgrenze. Als er vor kurzem in der Bundesrepublik Klinken putzte, konnte man trotz größter Bemühungen für den rechtsgestrickten Christdemokraten nicht einen einzigen interessierten Investor ausmachen. Alle schielen in die europäischen Nachbarländer oder gen Osten. Allerdings fließen seit einigen Jahren nur noch geringe Investitionsmittel nach Lateinamerika. Zwar konnte der Pfälzer Kanzler seinem chilenischen Freund die Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe versprechen, aber die zugesagten 120 Millionen D-Mark werden wohl auf 40 zusammengestrichen werden.

Mit neuen Krediten ist kaum zu rechnen. Zwar machte sich die Diktatur beim IWF lieb Kind, indem sie in den vergangenen fünf Jahren im Rahmen des „debt to equity swap“ Investoren chilenische Schuldscheine im Wert von 8,2 Milliarden Dollar abkaufte. Doch auf die neue Demokratie warten bereits im ersten Jahr über zehn Milliarden fällige Schulden.

Die Zahlungsverpflichtungen stammen zum Teil noch aus dem laufenden Jahr, die die Militärs in Absprache mit den Gläubigern hinausgeschoben hatten. Und um Aylwin sämtlichen Spielraum zu nehmen, hat Pinochet 330 Millionen Dollar aus künftigen Kupfererlösen und einen 200-Millionen-Kredit des IWF vertraglich für die im kommenden Jahr fälligen Schulden reserviert.

Als wahre Zeitbombe wird sich die Privatisierung der Staatsbetriebe und der Verkauf von Gold-, Kupfer- und Gasvorkommen an ausländische Kapitalgruppen erweisen. Bei diesen Geschäften wurde, wie üblich, vereinbart, die Gewinne erst nach einer Frist von drei bis fünf Jahren ins Ausland zu überweisen. Dabei muß die Zentralbank die Devisen zur Verfügung stellen. Aber woher die Millionen nehmen, wenn nicht leihen? Die garantierte Gewinnrückführung, prophezeien Experten, wird eine nie dagewesene Neuverschuldung nach sich ziehen. Harte Zeiten erwarten die Chilenen.

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