: Der Mensch unterm Prinzip
■ Flüchtlingspoker in Hongkong
Alles hat man voraussagen und voraussehen können, dies nicht. Ist der erste Schritt in den Skandal einmal getan, gibt es kein Halten mehr, oder? Wie Karl Kraus gesagt haben würde, der Skandal beginnt, wenn die Polizei in Hongkong ihm ein Ende macht.
Man muß es sich in den einzelnen Schritten noch einmal ganz klar machen: 1. Bootsflüchtlinge fliehen seit 1978, die ganz große Welle, auch die Vertreibung von Vietnam-Chinesen erregte die westliche Welt, regt zu großer Hilfe an. Politiker lassen sich gern mit niedlichen Vietnamesenkinderchen fotografieren. 2. Ab 1982 nimmt diese Bereitschaft rapide ab, die Cap Anamur wird unter Erpressen zurückgezogen, man versucht die Etikettenwechsel. Statt Flüchtlingen sind diese Boat people von Stund an Wirtschaftsflüchtlinge. 3. Ab 1988 scheint das Problem erledigt, doch springen ab Mitte '88 wieder soviele Vietnamesen, nunmehr auch aus dem Norden, in die Nußschalen (Boote), daß Hongkong Mitte '89 fast den Notstand erklären muß: 27.000 ankommende Flüchtlinge. Noch schlimmer: Kein Land läßt sich zu irgendeiner Hilfe herab. Das Latein der Politik ist am Ende. Nun zieht man zynisch die Notbremse. Selbst die vietnamesische Regierung muß westlichen Regierungen sagen, sie nehme nur Flüchtlinge ab, die freiwillig zurückkehren wollen, oder augenzwinkernd würden sie sie auch bei einem Kopfpreis von 600 US-Dollar nehmen. Ein Sieg für Machiavelli, eine Niederlage für die Prinzipien, die sie im Westen stolzgeschwellt in die Genfer Konventionen geschrieben haben.
Nur beim Zusammenprall des Prinzips, das Flüchtlinge beschützt, daß Flüchtlinge schon gar nicht repatriiert werden dürfen, wenn ihnen die Menschenrechte bei ihrer Rückkehr nicht garantiert sind - beim Zusammenprall dieses Prinzips mit der Realität blamiert sich das Prinzip. Die britische Regierung hat es gemacht, Maggie Thatcher gibt weitere Beweise für ihren Zynismus. Moralisch richtig oder falsch: Die Boat people sind allen eine lästige Masse. Und wir sind noch wie im Traum enthusiasmiert von dem Sieg der Menschenrechte, den sich die Menschen in der DDR, in Polen, in der CSSR selbst erkämpft haben. Vielleicht werden es Politiker in diesen Staaten demnächst besser machen. Ein Außenminister Jiri Dienstier wird so etwas hoffentlich nie billigen. Er hat zulange im Knast gesessen.
Dabei hätte es Möglichkeiten gegeben, Garantien für die Rückkehrer zu fordern, auch Begleiter einzuklagen, vom Roten Kreuz, dem UNHCR. Wir hatten die Bonner auf ein Arbeitsprogramm hingewiesen für Repatriierte, bei denen sie geschützt gewesen wären. Wie sagte Talleyrand zu Napoleon, das war mehr als ein Fehler, das ist ein Verbrechen. Heute geht es wohl weiter.
Rupert Neudeck, Vorsitzender des Kap Anamur, Komitees Deutsche Notärzte
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