: Kommt der Verfassungsschutz wieder davon?
■ Eine interne Untersuchungskommission entlastet den Geheimdienst in der Schmücker-Affäre
Schlampigkeit, unprofessionelle Arbeit und eine katastrophale Aktenführung beim LfA, aus der die „Relevanz des Falles für das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz nicht ersichtlich wird“, auf der einen Seite, weitgehende inhaltliche Entlastung des Geheimdienstes auf der anderen Seite - auf diese Kurzformel läßt sich ein 300-Seiten -Bericht der internen parlamentarischen Untersuchungskommission zusammenfassen, die Licht in den „Mordfall Schmücker“ bringen sollte.
Der Bericht der „Projektgruppe Verfassungsschutz“, die Berlins Innensenator Pätzold kurz nach Amtsantritt der Rot -Grün-Koalition mit der Durchleuchtung der Skandalbehörde Verfassungsschutz beauftragte, liegt jetzt dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß vor. Er bestätigt, was den Ablauf der „Affäre Schmücker“ betrifft, weitgehend die Recherchen der taz-Serie „Der Mordfall Schmücker“.
Die Übereinstimmung geht jedoch nur soweit, wie der Ablauf sich aus dem Aktenmaterial, das die Projektgruppe im Landesamt vorfand, rekonstruieren ließ und wie mündliche Befragungen von Mitarbeitern des Geheimdienstes es zuließen. Tauchten dabei Widersprüche und Erinnerungslücken auf, unterstellte die Projektgruppe regelmäßig die für den Verfassungsschutz entlastendste Variante.
So bleibt die Kardinalfrage der gesamte Affäre - waren der Verfassungsschutz oder ein anderer Geheimdienst am Abend des 4.Juni 1974, als der V-Mann Ulrich Schmücker erschossen wurde, am Tatort oder nicht? - nach wie vor unbeantwortet. Zwar entscheidet sich die Untersuchungsgruppe für die Annahme, Mitarbeiter des Berliner Amtes seien an dem Abend nicht vor Ort gewesen, doch wird dies selbst in der eingeschränkten Fragestellung wenig überzeugend begründet. Zuerst einmal müssen Pätzolds Rechercheure feststellen: Der Verfassungsschutz hatte einen ihrer ergiebigsten V-Männer, den Spitzel Volker Weingraber, genau innerhalb der Gruppe, die später für den Mord an Schmücker verurteilt wurde. Er wußte, daß innerhalb der linken Szene gegen Schmücker eine Bestrafungsaktion geplant war. Aufgrund von Hinweisen eben dieses V-Mannes wurde vom Verfassungsschutz die Ausspähung des späteren Tatortes am 3.Juni, einen Tag vor dem Mord, observiert. Am Morgen des 4.Juni gab Weingraber erneut Bescheid, daß zwei Mitglieder der Gruppe seinen Wagen nachmittags und abends noch einmal ausleihen wollten.
Schmücker selbst meldete sich unmittelbar vor seinem Tod bei seinem V-Mann-Führer Grünhagen, weil er sich bedroht fühlte.
In den Akten des Verfassungsschutzes findet sich daraufhin ein Vermerk des späteren Chefs des Geheimdienstes, Natusch, in dem er eine Observation für den 4.Juni anordnet. Doch ein Bericht über die Observation fehlt in den Akten. Daraus schließt die Untersuchungsgruppe, es habe auch gar keine Observation stattgefunden. Der Frage, ob das Berliner Amt möglicherweise eine Bundesbehörde oder alliierte Geheimdienste informiert hat, die sich dann der Sache selbst angenommen haben, geht die Untersuchungskommission nicht nach. Statt dessen folgt sie der Argumentation des Amtes, man habe von einer Observation am 4.Juni, dem Todestag, Abstand genommen, a) weil die Beobachtung am 3.Juni so unergiebig gewesen sei und b) weil der V-Mann Weingraber nicht gefährdet werden sollte. Eine akute Gefährdung Schmückers sei nicht ersichtlich gewesen, da dieser bereits früher davon gesprochen habe, er fühle sich bedroht.
Warum ein Geheimdienst ausgerechnet ein erwartetes Treffen seines Lockvogels Schmücker mit Kontaktleuten aus der „Terror-Szene“ nicht beobachtet hat und auch nichts zum Schutz seines V-Mannes getan haben will, wird in dem Bericht nicht problematisiert.
Unmittelbar nach der Tat war ausgerechtnet V-Mann Weingraber im Besitz der Tatwaffe. Wie kann man ausschließen, daß er selbst den tödlichen Schuß abgegeben hat? Weingraber behauptet, er habe während der Tatzeit im Kino gesessen und die Waffe danach übergeben bekommen, ohne zu wissen, daß es sich um die Tatwaffe handele.
Als Beweis für die Unschuld seines V-Mannes präsentierte der Verfassungsschutz der Untersuchungskommission Tonbandmitschnitte eines Telefonats zwischen Weingraber und der jetzigen Hauptangeklagten Ilse Schwipper. In diesen Aufzeichnungen erklärt Ilse Schwipper angeblich, warum man ihn, Weingraber, vor der Tat nicht eingeweiht habe.
Nachdem das Amt sich in dieser Weise überzeugt hatte, daß sein zentraler V-Mann Weingraber „sauber“ sei, wurde das gesamte weitere Geschehen - so jedenfalls der Untersuchungsbericht - ausschließlich von der Notwendigkeit diktiert, diesen V-Mann nicht zu gefährden.
Mit diesem Argument rechtfertigt das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz bis heute, daß sie die von Weingraber an den Verfassungsschutz übergebene Tatwaffe den offiziellen Ermittlungsbehörden und den Gerichten vorenthalten hat. Erst die Untersuchungsgruppe fand die „angerostete Pistole“ in einem Panzerschrank im Asservatenkeller des Amtes.
Obwohl die Untersuchungsgruppe im Kern alle bisherigen Vorwürfe bestätigt, der Verfassungsschutz habe nach dem Mord systematisch eine Desinformationskampagne inszeniert, erteilt sie den Geheimdienstlern eine juristische Absolution: das Zurückhalten von Beweismitteln gegenüber den Gerichten sei letztlich berechtigt gewesen, um das Leben des V-Mannes Weingraber nicht zu gefährden.
Andere - in den bislang drei Prozessen gegen Ilse Schwipper und weitere Angeklagte - zentrale Fragen wurden dagegen kaum untersucht. Ungeprüft blieb zum Beispiel der Verdacht, Jürgen Bodeux, der spätere Kronzeuge der Anklage, habe ebenfalls als V-Mann gearbeitet und möglicherweise schon vor dem Mord im Dienst des Verfassungsschutzes gestanden. Zwar gibt es beim Berliner VS eine Akte Bodeux, die als V-Mann -Akte angelegt war. Auf dem Deckblatt blieben allerdings die Rubriken über den Decknamen und den V-Mann-Führer unausgefüllt. Ein möglicher Deckname „Gasse“ taucht in einem Vermerk zwar auf, dessen Verfasser behauptet jedoch, diese Anfügung sei nicht von ihm, er wisse von nichts. Daß gegen Bodeux ein Ermittlungsverfahren wegen eines bisher ungeklärten Raubmordes anhängig war, mit dem der Geheimdienst ihn unter Druck setzen konnte, taucht in dem Bericht mit keinem Wort auf.
Tatsächlich Auskunft über diese Zusammenhänge, so suggeriert die Untersuchungsgruppe, könnte eigentlich nur der ehemalige Oberamtsrat Grünhagen geben - auf seiten des Geheimdienstes die Schlüsselfigur in der gesamten Schmückeraffäre. Doch Grünhagen soll Anfang 1988 an Krebs verstorben sein. Da diese Mitteilung in der Öffentlichkeit mehrfach heftig in Zweifel gezogen worden war, ging die Projektgruppe der Frage nach, ob Grünhagen vielleicht mit anderer Identität abgetaucht ist. Geradezu rührend wird in dem Bericht geschildert, wie alle Mitarbeiter Grünhagens sich an den körperlichen Verfall ihres Kollegen erinnern und keinerlei Zweifel daran haben, daß er tatsächlich an Hautkrebs gestorben sei. Nachfragen über den Kollegenkreis hinaus sind aus dem Bericht nicht ersichtlich offensichtlich wurden nicht einmal die Krankenakten des V -Mann-Führers angefordert.
Zur Krönung der rechtsstaatlichen Würdigung der Rolle des Verfassungsschutzes wird der Bericht im Abschnitt über V -Mann Christian Hain. Christian Hain, ein alter Freund Ilse Schwippers, ist der zweite V-Mann, den der Verfassungsschutz unmittelbar im Umfeld der Gruppe rekrutiert hatte. Als V -Mann aktenkundig wird Hain erstmals im Januar 1975. In der Zeit, von Januar bis August 1975, ging Hain auf Weisung des VS in die Berliner Rote Hilfe, die schwerpunktmäßig Solidaritätsaktionen für Ilse Schwipper und andere wegen des Mordes an Schmücker in U-Haft sitzende Leute vorbereitete. Dabei ging es auch immer wieder um die Strategie für den bevorstehenden ersten Prozeß. In Diskussionen mit den Anwälten der Angeklagten kam Hain so zu exklusiven Informationen über den Ermittlungsstand der Anwälte und deren Prozeßstrategien, die via Verfassungsschutz brühwarm an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurden. Ab August ließ Hain sich dann förmlich als Praktikant des Verteidigers von Ilse Schwipper anstellen.
Die Projektgruppe kommt nun zu folgender Würdigung: Da der Anwalt “ - die Richtigkeit einer entsprechenden V-Mann -Meldung unterstellt - unter Mißbrauch seiner Stellung als Organ der Rechtspflege die terroristische Gruppe in strafvereitelnder Absicht unterstützt“ hat, war der Geheimdienst befugt, die gesamte Palette „nachrichtendienstlicher Mittel“ gegen ihn einzusetzen.
Problematisch schien der Projektgruppe diese Art der Informationsbeschaffung offenbar erst, nachdem sich Hain auch noch als Mitarbeiter in der Kanzlei einstellen ließ, um gleich direkt an der Quelle zu sitzen bzw. die Aktionen der Verteidigung auch noch unmittelbar beeinflussen zu können. Zu diesem Punkt zwei will die Untersuchungsgruppe sich jedoch erst in einem gesonderten Bericht äußern.
Abgesehen davon, daß die Kommission sich hier an einer weiteren, entscheidenden Stelle - zumindestens vorläufig drückt, zeigt die Argumentation, daß die Projektgruppe mit einem Ansatz gearbeitet hat, der letztlich auf eine Apologie des Geheimdienstes hinauslaufen mußte. Sämtliche Fragestellungen bewegen sich auf den immanenten Bahnen der vom Geheimdienst vorgegebenen Prämissen. Die übergreifende Frage nach dem Sinn oder Unsinn der Aktionen der Geheimen wird erst gar nicht gestellt. Die Zulässigkeit einer Strategie, die darauf setzt, den militanten Untergrund aktiv zu infiltrieren, wird von vornherein ausgeklammert. Sollte sich die Mehrheit im Parlamentarischen Untersuchungsausschuß auf den Bericht als Leitfaden ihrer Arbeit festlegen, ist deshalb das Ergebnis bereits jetzt absehbar.
Jürgen Gottschlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen