piwik no script img

Die Welt ist schlecht

Das Dilemma mit den Krediten für die DDR  ■ K O M M E N T A R E

Auf 500 Milliarden D-Mark beziffert der CDU-Politiker Matthias Wissmann den Kapitalbedarf für die Modernisierung der DDR-Wirtschaft. Er dürfte damit nicht zu hoch gegriffen haben, wenn wir zusammenzählen, was Wissenschaftler allein zur Herstellung einer halbwegs funktionierenden Infrastruktur wie Telefon, Verkehrswesen und dergleichen mehr veranschlagen. Die Industriebetriebe bedürfen eines vielfachen Betrages. Hilfe ja, aber ohne Bedingungen, lautet da eine linke Standardformel, hinter der die reichlich unscharfe Hoffnung steht, drüben möge irgendetwas entstehen, nur was völlig anderes als hier. Ansonsten drohe der Ausverkauf unseres östlichen Nachbarstaates. Klingt anständig.

Aber läuft nicht schon alles in Richtung Ausverkauf? Ist der Besuch von Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann bei seiner Ostberliner Kollegin, mit der er Investitionsschutzabkommen und Gesetze für Joint-ventures in die Wege leiten will, ein erster Schritt in die verpönte Richtung: Erst mal die Chance zum Einkauf in DDR-Firmen schaffen und die Möglichkeit zum Gewinntransfer garantieren, bevor die Gelder fließen? Und außerdem will Haussmann auch noch die Entwicklung in Richtung Marktwirtschaft forcieren, damit erst dann der West-Rubel rollt. Wer hier „Halt!“ schreit, der muß sagen, woher die 500 Milliarden West-Mark kommen oder was ohne diese Gelder laufen soll. Reiche westliche Regierungen, die mal eben eine halbe Billion Mark springen lassen könnten, wären ja - wenigstens theoretisch durch weltweiten politischen Druck zu zwingen, das Geld einfach im Care-Paket rüberzuschicken. Die Unternehmen, die nach Lage der Dinge einzig das Geld hätten, durch Investitionen diese Summe zusammenzubringen, investieren eben nur dort, wo sie es für profitabel halten. Woanders lassen sie es sein und sind weder durch restriktive politische Entscheidungen noch durch gutes Zureden umzustimmen. Auf gutwillige Unternehmertypen wie etwa einen Reemtsma-Erben könnte allenfalls ein Projekt wie die taz setzen, sollte sie sich einmal - ganz theoretisch - um Kapitalbeteiligungen bemühen. Eine ganze Republik ist dadurch nicht zu sanieren. So schlecht ist die Welt.

Die zweite Variante: 500 Milliarden - Nein danke! böte die Chance auf eine eigenständige, autarke Entwicklung, in der dem Privatunternehmer, einem ausländischen zumal, vor allem erst mal kräftig auf die Finger geklopft wird, bevor er seine Wünsche auf Profit anmelden darf. Die Frage ist allerdings: Mit wem soll diese Entwicklung laufen? Zur Zeit sind nicht nur die Unternehmer grenzüberschreitend mobil, sondern auch die Bürger der DDR, und die gehen, wenn's ihnen nicht mehr paßt. So schlecht sind die eben auch.

Ulli Kulke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen