: Keine Hinweise auf Haftunfähigkeit
■ Leserbrief zum Artikel „Kinderlähmung: Sozialamt verweigert Hilfe“ vom 15.12.89
Sehr geehrte Damen und Herren,
den von Ihnen in dem Artikel dargestellten Sachverhalt eines in Bremerhaven in Abschiebungshaft einsitzenden türkischen Flüchtlings kann ich nicht unwidersprochen hinnehmen. Nach den mir vorliegenden Unterlagen ist festzustellen:
1. Für den Betroffenen bestand aufgrund vollstreckbarer verwaltungsgerichtlich bestätigter Verfügungen die Verpflichtung, die Bundesrepublik zu verlassen. Da eine freiwillige Ausreise nicht gesichert war, hat meine Ausländerbehörde beim Amtsgericht Bremerhaven einen Antrag auf Abschiebungshaft gestellt, dem das Gericht mit Beschluß vom 27.9.1989 stattgegeben hatte. Die Beschwerde vor dem Landgericht blieb erfolglos.
2. Ein Antrag des Prozeßbevollmächtigten auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung wies das Verwaltungsgericht Bremen mit Beschluß vom 27.10.1989 zurück. Die dagegen erhobene Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht ist anhängig.
3. Der Einwand des Betroffenen, er sei nicht haftfähig, war weder für das Landgericht, noch für das Verwaltungsgericht überzeugend. Von angeblichen psychischen Erkrankungen war die Justizvollzugsanstalt unterrichtet. Die ärztliche Zugangsuntersuchung ergab keine Hinweise auf Haftunfähigkeit. Weiteren ärztlichen Kontakt hat der Betroffene nicht gesucht. Auffälligkeiten sind wähtend der Haftdauer nicht beobachtet worden. So hat er weder die Nahrungsaufnahme verweigert noch Suizidversuche unternommen bzw. solche Absichten in der Justizvollzugsanstalt geäußert. Vorsorglich hatte die Anstalt jedoch eine besondere Beobachtung angeordnet, nachdem ihr von außerhalb entsprechende Absichten übermittelt worden waren.
4. Der Betroffene hat inzwischen eine Petition an die Bremische Bürgerschaft gerichtet, um seine Abschiebung zu verhindern. Aufgrund dieser Tatsache ist er am 30.10.1989 aus der Abschiebungshaft entlassen worden.
Ich bin in hohem Maße an einem guten und ausgeglichenen Verhältnis zu den Medien interessiert. Voraussetzung ist jedoch eine Berichterstattung, die sich nicht einseitig orientiert. Umfassende Recherchen, die sich auch auf mein Haus hätten beziehen müssen, hätten mit Sicherheit eine objektive Darstellung des Sachverhaltes erzielen lassen.
In der Hoffnung, daß sich in Zukunft eine gedeihliche Zusammenarbeit entwickelt, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Willms, Oberbürgermeister
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen