: Auf das Verhüllte kommt es an
■ Benazir Bhuttos erstes Amtsjahr
Mushahid Hussain
Die demokratisch gewählte Zivilregierung von Premierministerin Benazir Bhutto verdient zunächst Lob für eine allgemeine Demokratisierung Pakistans - und eine der wichtigsten Zutaten zur Demokratie ist die Pressefreiheit. Eine ganze Reihe von Maßnahmen und Neuberufungen in der Nachrichtenbürokratie, die alle innerhalb der ersten Wochen ihrer Amtsübernahme getroffen wurden, taten das ihre dazu, einen Gesamtzustand von Freiheit, Offenheit und Demokratie zu schaffen, in dem „hundert Blumen blühen“.
Während die Printmedien Pakistans nach dem Tode Zias im August 1988 schon freier geworden waren - und diese Freiheit durch die Rücknahme der verhaßten „Presse- und Publikationsverordnung“ im September'88 bestätigt wurde -, hatte sich das Informationsministerium über die Funktionsstruktur der Zeitungen weiterhin eine Schlüsselstellung zugestanden.
Zu Anfang gab Benazir Bhutto den Medien (Fernsehen und Radio) in beispielsloser Weise mehr Freiheit. Sie schaffte den Zustand ab, daß Journalisten vor jedem Aufenthalt im Ausland um Regierungserlaubnis nachzusuchen hatten, stellte die von ihrem Vorgängerregime entlassenen Journalisten wieder ein und erlaubte den direkten Bezug ausländischer Druckerzeugnisse durch Zeitungsredaktionen. Wenigstens acht Schlüsselstellungen wurden geschaffen, um die neue Medienpolitik auszuarbeiten und innerhalb eines neuen demokratischen Gefüges in die Praxis umzusetzen; hierzu gehören vor allem die Posten eines Ministers, Sekretärs, Beraters und Beamten für Sonderaufgaben im Ministerium für Nachrichten und Rundfunk, zwei Pressesprecher der Premierministerin, einer für inländische, einer für ausländische Medien, und der Direktorenposten des National Press Trust, der die Dachorganisation für vier offiziell -kontrollierte Tageszeitungen darstellt. Einigen Journalisten, deren politische Überzeugungen als Anti -Establishment-Haltung bekannt sind, deren Integrität und Qualifikation jedoch außer Frage steht, wurden ebenfalls Posten innerhalb der offiziellen Print-Medien angeboten.
Diese frühe Phase der Öffnung hat inzwischen jedoch einer „Business-as-usual„-Haltung Platz gemacht, die ein Zyniker folgendermaßen beschrieb: „Die offiziellen Medien funktionieren wie ein Bikini: das Entblößte verspricht viel
-aber auf das Verhüllte kommt es an.“
Die Rolle der offiziellen Medien unter der neuen Regierung läßt deutlich drei Phasen erkennen. Die erste Phase, die mit dem Machtantritt Benazirs am 2.Dezember 1988 begann, dauerte genau bis zum 12.Februar, als nämlich das Fernsehen das erste Mal in seiner Geschichte Zusammenstöße zwischen tränengas-sprühenden Polizeikräften und einer demonstrierenden Menge (in Islamabad) zu zeigen wagte. Die Demonstration war gegen Salman Rushdies Roman „Die Satanischen Verse“ gerichtet. Nach dieser Berichterstattung zur Hauptsendezeit erhielt das Fernsehen den Auftrag, keinerlei „unredigierte Nachrichten“ mehr zu bringen. Dabei hatte sich in dieser ersten Phase die Liberalisierung der Medien beispielhaft bewährt während einer politischen Krise, der Auflösung der Landesversammlung von Baluchistan nämlich, die am 14.Dezember stattfand. Alle politischen Kräfte waren öffentlich zu Wort gekommen, und es hatte eine faire und faktenreiche Berichterstattung über die Opposition gegeben.
In den Monaten Februar und März '88 folgte dann eine Phase der Verwirrung. Die Regierung war erpicht darauf, den Anschein von Fairneß aufrechtzuerhalten, bereitete jedoch gleichzeitig eine Revision ihrer ursprünglichen „Freiheit -für-alle„-Haltung innerhalb der Berichterstattung vor.
Als die erste Konfrontation zwischen Bundesregierung und der Landesregierung des Panjab stattfand, wurden die offiziellen Medien noch einigermaßen liberal zur Darstellung der politischen Ziele der Bundesregierung genutzt. Am 6.März eröffnete die Pakistan Times die Schlacht mit einem Artikel auf der ersten Seite; ein „Analytiker“ behauptete dort, die Destabilisierung der panjabischen Landesregierung durch die Bundesregierung sei „eine Revolte von Innen“, und die Opposition sei „in Gefahr, sich zu spalten“. Die offizielle Pakistan Times wurde dann jedoch von ihren Mitkämpfern in der Technik der Desinformation weit in den Schatten gestellt, als nämlich das pakistanische Fernsehen in seiner Hauptnachrichtensendung am 7.März zehn von 25 Minuten der „Revolte“ widmete, „die sich gegen den Punjab -Beauftragten und Oppositionsführer Mawaz Sharif zusammenbraut“. Zur Abwechslung war selbst die Premierministerin einmal an den Rand der täglichen Berichterstattung gedrängt... Am 10.März gab die offiziell -kontrollierte Associated Press of Pakistan einen Bericht aus, der angeblich aus „verläßlicher Quelle“ stammte, sich im Nachhinein jedoch als vollkommen falsch erwies. Es hieß dort, der Panjab-Beauftragte Mawaz Sharif habe seinen Rücktritt angeboten. Selbst nach Sharifs Dementi hat die Agentur diesen Bericht nie zurückgezogen oder sich entschuldigt. Das Fernsehen ließ sich ebenso bei einem anderen, hiermit nicht in Zusammenhang stehenden Thema hinreißen und verkündete am 9.März zu Beginn der Nachrichten, daß der Flughafen von Dschlalabad von afghanischen Mudschaheddin erobert sei und die „Befreiung“ von Dschlalalbad „unmittelbar“ bevorstünde. (Diese Meldung, bei der wohl der Wunsch der Vater des Gedankens war, kennen auch wir noch aus der von den US-amerikanischen Agenturen und Berichterstattern dominierten Afghanistan -Berichterstattung in Westeuropa. Anm.: U.R.)
Seit dieser ursprünglichen Konfrontation haben sich die offiziellen Medien wieder auf ihre Hauptfunktion zurückgezogen, die darin besteht, die politische Linie der Regierung bekanntzumachen und ihre wichtigsten Funktionäre in Aktion zu zeigen; gleichzeitig versucht man, zumindest den Anschein einer Berichterstattung über die Opposition zu erwecken. Als beispielsweise die von der Regierungspartei (Pakistan's People's Party) geführte Koalitionsregierung der Nord-West-Front-Provinz am 28.April auseinanderbrach, nachdem die Minister der linken ANP zurücktraten, wurde diese Nachricht beim pakistanischen Fernsehen glatt unterschlagen.
Statt dessen brachte das Fernsehen am 13.Juni zu Beginn seiner Nachrichtensendung einen siebenminütigen Beitrag, in dem nahegelegt wurde, die Differenzen zwischen den beiden Parteien seien beigelegt. Als die ANP diese Darstellung zurückwies und die offiziellen Medien beschuldigte, „die Fakten durch Zitate, die aus dem Kontext genommen wurden, zu verdrehen“, blieb diese Korrektur unberichtigt.
Die Gangart der Regierung unter Benazir Bhutto bezüglich der Medien, die beschrieben werden kann als „zwei Schritte vorwärts, einer zurück“, spiegelt zweierlei wieder: zum einen eine Polarisierung innerhalb der Politik Pakistans und zum anderen die Tatsache, daß die PPP in ihren ersten sechs Regierungsmonaten diverse interne Schlachten mit Hilfe der Medien zu schlagen versucht hat.
Zwei Beispiele bestärken diesen Eindruck.
Als Premierministerin Bhutto zunehmend in Sorge geriet über die, wie sie es sah, „Annäherung“ von Präsident Ghulam Ishaq Khan an die Opposition, erschienen in allen vier Zeitungen des National Trust ähnliche Artikel auf den ersten Seiten; ein „Sonderkorrespondent“ wies den Präsidenten in subtiler Form darauf hin, daß seine häufigen Treffen mit Oppositionspolitikern die „Verfassung“ verletzen. Dieser Artikel erschien am 16.April. Am Tag darauf beschuldigte der Präsident den Autor des Versuchs, „die Verfassung zu misinterpretieren“. Am 23.April veröffentlichte die New York Times einen auf Desinformation des Geheimdienstes „Inter Services Intelligence“ basierenden Bericht, in dem behauptet wurde, „der Angriff auf Dschalalabad ist von der Regierung Benazir Bhutto angeordnet worden“. Dadurch wurde jegliche Verantwortung für das Debakel von Dschlalabad vom „Inter Services Intelligence“ auf die Premierministerin verschoben. Sie antwortete auf diesen Versuch mit einem langen, an drei Tagen in Fortsetzung in der unabhängigen Tageszeitung The Nation (am 26., 27. und 28. April) erschienenen Artikel, der sie von jeglicher Verantwortung im Afghanistan-Fiasko freisprach. Schließlich führte dieser in den Medien ausgetragene Kampf zwischen „Inter Services Intelligence“ und Regierung am 24.Mai zur Entlassung des ISI -Chefs, Generalleutnant Hamid Gul, wohl die politisch bedeutsamste Entscheidung seit Benazirs Regierungsantritt. Seit Guls Entlassung jedoch sind die Medien Pakistans von einer „Verschwörung des Schweigens“ ergriffen. Keinerlei Analyse des Geschehens war in ihnen auffindbar, und es gibt Gerüchte, daß von Islamabad ein „Herunterhängen dieser delikaten Angelegenheit“ gewünscht worden sei.
Bisher hat die Regierung in zwei wichtigen Angelegenheiten einen Rückzieher gemacht. Die Auflösung des National Press Trust, der seit seiner Gründung 1984 noch von jeder Regierung mißbraucht worden ist, ist bisher nicht vollzogen. Und auch die versprochene Vereinigung von Rundfunk und Fernsehen in einem autonomen Dachverband ist unterblieben.
Die pakistanischen Medien haben bisher weder Regierungen gestürzt noch vorm Sturz gerettet. Die Regierung wäre besser beraten, wenn sie der Aussage eines prominenten Politikers folgte, der in den 50er Jahren schon sagte: „Wer Zeitung liest, wählt nicht, und wer wählt, liest keine Zeitungen.“
Mushahid Hussain ist Pakistani; er wurde 1987 zur Kündigung seines Postens als Chefredakteur der englischsprachigen Tageszeitung The Muslim (Islamabad) gezwungen.
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