: Scheich Yassin in Israel vor Gericht
Dem 54jährigen, seit seiner Geburt gelähmten Fundamentalistenführer aus Gaza wird Anstiftung zum Mord vorgeworfen ■ P O R T R A I T
Von Beate Seel
Berlin (taz) - Seine notorisch gute Laune verlor Scheich Ahmad Yassin selbst dann nicht, als am Mittwoch vor einem israelischen Militärgericht der Prozeß gegen ihn eröffnet wurde. Entspannt und zuvorkommend ergriff der Fundamentalisten-Führer aus Gaza die Gelegenheit, den Journalisten sein Ziel zu erläutern: einen islamischen Staat in ganz Palästina, also einschließlich Israels, in dem Juden und Christen friedlich mit den Moslems zusammenleben. Angehörige und Freunde des Scheichs, die nach strengen Kontrollen und nach Geschlechtern getrennt dem Verfahren beiwohnen konnten, nutzten die Chance, ihr Idol wiederzusehen oder seine Hand zu erhaschen, um einen Kuß darauf zu drücken.
Während Yassin für die einen ein verehrter politisch -religiöser Führer ist, gilt er für andere als ein Terrorist: Gegen den 54jährigen Scheich, der seit seiner Geburt gelähmt ist und im Rollstuhl sitzt, wurden eine ganze Reihe von Vorwürfen erhoben: Mitgliedschaft in einer illegalen Vereinigung, der im letzten Jahr verbotenen fundamentlistischen Hamas-Bewegung, Anstiftung zum Mord und illegaler Waffenbesitz. Er soll, so die Anklage, die Ermordung eines israelischen Soldaten und vier mutmaßlicher palästinensischer Kollaborateure angeordnet haben.
Für die einen Terrorist,
für die anderen Idol
Yassin war bereits im letzten Frühjahr festgenommen worden, als die Besatzungsbehörden ihre jahrelange stillschweigende Duldung der Aktivitäten islamischer Fundamentalisten aufgaben und rund 250 vermutete Mitglieder und Anhänger von Hamas im Gaza-Streifen festnahmen.
Yassins Familie stammt ursprünglich aus Aschkelon in Israel. 1948 floh sie nach Gaza und lebt seither im Viertel Jorat-Askalan. Der Name weist auf die Herkunft zahlreicher, auch heute noch dort ansässiger Palästinenser hin. Yassin war zunächst 26 Jahre lang als Lehrer tätig, bis er 1983 von der Besatzungsmacht entlassen wurde, nachdem in seinem Haus Waffen gefunden worden waren. Außerdem wurden ihm illegale Transaktionen zur Finanzierung fundamentalistischer Gruppen vorgeworfen. Er wurde zu 31 Jahren Gefängnis verurteilt, kam aber bereits im folgenden Jahr, im Zuge eines Gefangenenaustausches, wieder frei. Seither wurde sein offenes Haus von den Behörden überwacht und er selbst gelegentlich zum Verhör bestellt. Er gehört auch zu jenen Palästinensern, mit denen sich israelische Militärs und Politiker zu Gesprächen trafen.
Im Winter 1988 kam in Yassins Haus eine Gruppe von Männern zusammen, die als Reaktion auf den Palästinenseraufstand die Hamas-Bewegung alternativ zur sekulär eingestellten und kompromißbereiten PLO ins Leben riefen. Ihrem ersten Flugblatt gaben sie die Nummer 4, um nicht hinter denen der Aufstandsführung zurückzufallen, und im August 1988 gaben sie sich, analog zur PLO, auch eine „Charta“, in denen die Grundsätze der Bewegung festgehalten sind.
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