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Systemkonkurrenz

Gysis Vorschlag macht Lust auf mehr  ■ K O M M E N T A R E

Was der SED-PDS-Vorsitzende Gregor Gysi am Wochenende vorschlug - bis 1991 die Armeen in beiden deutschen Staaten zu halbieren, die Wehrpflicht auf 12 Monate zu senken, Tiefflüge sofort einzustellen, keine neuen Waffensysteme zu entwickeln und bis 1999 die Streitkräfte der Verbündeten zu verabschieden und die Militärblöcke aufzulösen - das hat in letzter Zeit so weitreichend selbst die bundesdeutsche Friedensbewegung nicht mehr zu fordern gewagt aus Sorge, nicht ernstgenommen zu werden. Die Friedensgruppen konnte die Bundesregierung ignorieren, aus dem Munde des SED-Chefs bringen die Vorschläge die Kohl-Truppe in Verlegenheit. Gysi zielt natürlich auf die Diskussion in der Bundesrepublik, auf die unter Tiefflugterror leidenden Menschen und jene, die gegen den unsinnigen und milliardenschweren Jäger 90 ankämpfen. Die Gysi-Offerte als Propagandatrick abzutun, wird der Bundesregierung nicht gelingen, nachdem die DDR -Regierung in der Frage der Wehrdienstzeit schon vorausgegangen ist.

Wenn in den letzten Wochen im Zusammenhang mit den revolutionären Umwälzungen im Ostblock von den grenzüberschreitenden Wirkungen der Massenmedien bei der Verbreitung demokratischer Ideen die Rede war, so offenbart sich nun, daß dies keine Einbahnstraße ist. Das macht Lust auf mehr. Wie eine echte Systemkonkurrenz aussehen könte, läßt Gysis Vorschlag ahnen - auch unter Berücksichtigung, daß die Vorschläge von einer mit allen Mitteln um den Erhalt ihrer Macht kämpfenden SED kommen. Zugleich aber stellt sich die Frage, welche Chancen die DDR versäumt hat in der Vergangenheit. Viele tausend Antifaschisten und Antimilitaristen sind nach dem Krieg in jenen neuen Staat gezogen, um dort zu zeigen, wie ein besseres, demokratischeres Deutschland aussehen könnte. Die Stalinisten zerstörten diesen Traum alsbald.

Die Bundesregierung, die bisher meinte, sie könnte der Demokratiebewegung, den Massendemonstrationen, der Bürgerselbstorganisation, den Forderungen nach direkter Demokratie und Akteneinsichtsrechten in der DDR so verlogen wie folgenlos applaudieren, darf sich darauf einrichten, von der DDR noch öfters unter Zugzwang gesetzt zu werden - ganz egal, wer nach dem 6. Mai dort regiert. Das könnte ein spannendes Wahljahr auch für die Bundesrepublik werden.

Gerd Nowakowski

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