: Leipziger Platz: Betroffene trafen Betrogene
■ Unabhängige Stadtplaner aus Ost und West luden auf den Leipziger Platz in Ost-Berlin, um einen Baustopp zu fordern / „Wohnbauten zerstören historischen Ort“ / Statt der verantwortlichen Chefarchitekten stöberten die Experten nur die verärgerten Bauarbeiter auf
Gestern vormittag auf dem Leipziger Platz in Ost-Berlin, einen Steinwurf hinter dem Grenzübergang am Potsdamer Platz: Zwischen Pfützen und Schlamm drängt sich ein Menschenpulk aus drei deutlich unterscheidbaren Schichten. In der Mitte Stadtplaner, um sie herum Journalisten, ganz außen Bauarbeiter. Die Bürger „miteinzubeziehen“ hat Werner Orlowski eben gefordert, der ehemalige Kreuzberger Baustadtrat und sturmerprobte Volkstribun. Da bricht es aus einem der gelb behelmten Bauarbeiter heraus: „Ihr sprecht so, als ob Euch das schon wieder alles gehören würde.“
„Wir lassen uns doch nicht verkoofen“, schimpft er, nachdem der West-Planer Meier eben an das alte Kaufhaus Wertheim erinnert hat, „eines der berühmtesten Kaufhäuser der Welt“. „Wir sind die Betroffenen“, assistiert ein anderer Brigadeleiter, der ebenfalls auf der Großbaustelle zwischen Leipziger- und Voßstraße beschäftigt ist. Hinter ihnen steht ihr jüngstes Werk, ein Wohnhaus aus roten Betonplatten, das bereits im zweiten Stock angelangt ist, obwohl die Arbeiten erst im Dezember begonnen haben.
An diesem Werk stoßen sich die Stadtplaner von der „Gruppe 9.Dezember“, einer grenzüberschreitenden Vereinigung unabhängiger Planungsexperten. Der Bau drohe den historischen, achteckigen Grundriß des Leipziger Platzes zu zerstören: er steht zu nah am Platz, die Leipziger Straße wird zu breit. „Der Platz wird städtebaulich aufgegeben“, fürchtet Ulrich Reinisch von der Humboldt-Universität. Sein Westberliner Kollege Dieter Hoffmann-Axthelm warnt, daß die Schneise einer Autobahn den ökologischen Umbau an dieser Stelle zunichte machen könnte. „Als Abgrenzung zu West -Berlin“ war das neue Wohnviertel zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz gedacht, weiß der Ostberliner Architekt Bruno Flierl. Jetzt wünscht der „9.Dezember“ einen internationalen Wettbewerb für das Gebiet Potsdamer- und Leipziger Platz, der den neuen Bedingungen Rechnung trägt.
Die Ostberliner Behörden scheinen die Kritik bereits erhört zu haben. Am 6. Dezember stimmten auch Chefarchitekt Korn, Stadtbaudirektor Stahn und Bezirksbaudirektor Kurtzer einem Baustopp zu. Weitergebaut wurde seitdem trotzdem. „Das hat Oberbürgermeister Krack angewiesen“, vermutet der Ost-Planer Peter Schatz. Vom OB-Büro ist niemand erschienen, allerdings haben Ostberliner Journalisten eine Erklärung an der Hand. Der zweistöckige Bau werde für den Zoll, für die Grenztruppen und eine Wechselstelle vorerst weitergebaut. Die Forderung nach einem Baustopp, warne der OB, „kreuzt“ sich mit dem Wunsch „nicht weniger Bürger“, die „dringend“ eine Wohnung suchten.
Doch statt des „großen, öffentlichen Dialoges“, den Orlowski eben gefordert hat, muß er nun einen kleinen Streit mit den Bauarbeitern austragen. „Über die Zeitung“ hätten sie von dem Baustopp gehört, klagen die Bauarbeiter, und dann seien die Arbeiten ja doch weitergegangen. Chefarchitekt Korn und seine Kollegen aus der Hauptstadt konnten die Verwirrung gestern nicht aufklären. Sie saßen hinter verschlossenen Türen, in West-Berlin, in einer Sitzung mit den Planern vom Senat. Sie treibe die Angst, sagt Ulrich Reinisch von der „Gruppe 9. Dezember“, daß „die Bürokraten sich verbünden“ - gegen die Bürger, die außen vor bleiben.
hmt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen