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„Normale Großstadt ohne grüne Grenze“

■ Mieterverein beklagt Mieterhöhungen um 20 Prozent nach zweijähriger Aufhebung der Preisbindung / Wohnungskriminalität nimmt zu

Eine Schreckensbilanz legte der Mieterverein nach zwei Jahren „Berlin ohne Mietpreisbindung“ vor: Die Altbau-Mieten sind fast doppelt so stark gestiegen wie die Lebenshaltungskosten. Substandardwohnungen ohne Bad und Zentralheizung kosten im Schnitt über 20 Prozent mehr als vor zwei Jahren, andere Altbauten noch gut zwölf Prozent. „Die Probleme werden sich noch vergrößern“, sagte Geschäftsführer Hartmann Vetter. Berlin werde zu einer normalen Großstadt, aber ohne „grüne Grenze“ zum Umland. In der Innenstadt werden bald Bürohochhäuser statt Wohnungen gebaut, bisherige preiswerte Randbezirke wie Kreuzberg oder Neukölln werden teurer, die sozial Schwachen werden in die Außenbezirke abgedrängt, befürchtet Vetter. Weitere Mietsprünge werde es wegen der Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit und nach Auslaufen der Übergangsregelungen geben. Und: Die Wohnungsnot wird mit kriminellen Methoden ausgenutzt: „Schmiergeldzahlungen, Abstandsfordungen, Betrug, Nötigung und Erpressung sind an der Tagesordnung“, sagte Vereinsvorstand Schmoll, der vor Wohnungsvermittlungsvereinen warnte. Die gaukelten oft nur Scheinangebote vor. Die Behörden verfolgten dies nur sehr zurückhaltend, dort müsse es mehr Personal geben, kritisierte Schmoll.

Der Wohnungsneubau hinkt bei weitem der Nachfrage hinterher: Von den 7.500 geplanten Wohnungen pro Jahr sind nur 2.000 Sozialwohnungen, allein in den letzten anderthalb Jahren sind 50.000 Haushalte nach Berlin gezogen. Die Zahl der Wohnberechtigungsscheine mit Dringlichkeit hat sich fast verdoppelt. Es gibt nach Schätzungen der Sozialverwaltung 14.000 Obdachlose in Berlin.

Weitere Verschlechterungen fürchtet der Mieterverein, weil zum 1.Januar dieses Jahres die Gemeinnützigkeit für die rund 320.000 Wohnungen - ein Drittel des Berliner Bestandes aufgehoben wurde. Ein Großteil davon sind Sozialwohnungen. Bis zum Jahr 2000 fallen 90.000 Wohnungen aus der Sozialbindung, diese sind dann in keiner Weise mehr preisgebunden.

Der Mieterverein fordert, im Neubauprogramm vor allem preiswerte Wohnungen für Bedürftige zu fördern. Bei Wohnungstausch und Untervermietung sollte der Vermieter nur in Einzelfällen die Erlaubnis verweigern dürfen, so wie es bis 1975 im Mieterschutzgesetz stand. Weiter will der Mieterverein eine Allparteienkoalition, um die jetzige Übergangsregelung für Mieterhöhungen im Altbau, die ab 1992 ausläuft, zu verlängern und verbessern.

Dazu erklärte der baupolitische Sprecher der CDU Rudolf Müller, seine Partei setze sich zumindest für eine Verlängerung der bisherigen Übergangsregelung ein. Nach dieser sind Mieterhöhungen nur um fünf Prozent zulässig, Mietsprünge bei Neuvermietungen um zehn Prozent. Nach Auslaufen der Übergangsregelung werden Mieterhöhungen von 30 Prozent und Neuabschlüsse in beliebiger Höhe legal sein. Weiter wolle die CDU eine Behördenstelle einrichten, die die Berechtigung von Mieterhöhungen nachprüfen kann, damit die Mieter im Streitfall nicht vor Gericht müßten. Das entspräche in etwa der Mietpreisstelle zu Zeiten der Mietpreisbindung, die die CDU vor zwei Jahren abgeschafft hat. „Die Lage auf dem Wohnungsmarkt und die politische Situation hat sich seitdem verändert, das konnten wir nicht vorhersehen“, sagte Müller.

esch

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