: Biblische Ratsuche bei Jesaja 40.28
Wynton Rufer, Stürmer von Werder Bremen, ist in der fernen Heimat nicht um starke und fromme Worte verlegen ■ Aus Wellington Bernd Müllender
Neuseeland, das frühere Auswandererland des alten britischen Empire tief unten im Pazifik, hat die Sportkultur der Gründerväter bis heute fast unverändert übernommen. Beinahe jeder der sportverrückten Kiwis jubelt den seit nunmehr drei Jahren ungeschlagenen „All Blacks„-Rugbyhelden zu, man vermeidet kollektiv jedes Gähnen bei merkwürdigen, fünf Tage währenden Cricket-Marathonspielen, und man wettet sich bettelarm beim Pferderennen. Nur der gute alte Fußball konnte, warum auch immer, down under nie Fuß fassen. Um so erstaunlicher, daß Neuseeland im letzten halben Jahr vom Geschehen der Fußball-Bundesliga bewegt wurde.
Der Grund hat einen Namen: Wynton Rufer, Stürmer von Werder Bremen und Neuseelands erster Fußball-Export nach Europa. Kaum daß er ferienbedingt in der Hauptstadt Wellington gelandet war, hatte sich die Presse seiner schon bemächtigt. Der neuseeländische Sportfreund hört, natürlich, mit breit geschwellter Brust von den Taten seines Ballpioniers in der alten Welt, auch wenn bislang nicht ein einziges Bild im Fernsehen zu erblicken war, nicht einmal von den beiden Triumphen gegen den SSC Neapel. Über die Wadenfertigkeit und Schußkraft aber wird so viel geschrieben und geredet, daß der Name Rufer und der Begriff Fußball schon fast zum Synonym geworden sind.
Als es vor einigen Wochen in den Fernsehnachrichten um einen anderen Balltreter ging, gab der Sprecher schon vorab Entwarnung: „Diesmal geht es nicht um unseren Wynton aus Bremen.“ Rufer selbst, „stolz, die Kiwi-Flagge im europäischen Fußball hochzuhalten“, ist dennoch unzufrieden mit dem Engagement seiner Landsleute in den Medien. „Nicht ein einziger Reporter“, klagt er, habe es für nötig befunden, zu den 90 Minuten „gegen Maradonapoli“ die 60 Stunden Flug hin und zurück auf sich zu nehmen.
So tat Wynton Rufer gut daran, in der angesehenen 'Sunday Times‘ gleich selbst in einer eigenen, sehr ausführlichen Kolumne sein Wirken begleitend zu kommentieren. Sein regelmäßiger Wochenrückblick bietet eine erfrischende Mischung aus Privatplauderei („Ich werde Vater, welches Glück; neulich hatten meine Frau Lisa und ich beide Magenverstimmung“) und Lobpreisung des Allmächtigen. So reflektiert der tiefgläubige Balltreter über die Halbzeitpause des Rückspiels gegen Neapel: „Ich nahm die Bibel zur Hand, öffnete sie bei Jesaja 40.28, und nur zehn Minuten nach der Pause wurden meine Gebete erhört.“ Der Herr führte sein linkes Bein zum 2:0. Folge: „Für den weltweit am meisten gefeierten Spieler, Maradona, blieb nichts als Schimpf und Schande.“
Die Kiwis vom anderen Ende der Welt, gemeinhin über das Geschehen auf Gottes weitem Erdenball nur spärlich informiert, erfahren dank Rufers Feder auch von allerlei politisch-gesellschaftlichen Ereignissen, und vor allem, wie sie mit dem Fußballgeschehen harmonieren. Folge der Maueröffnung sei, das nunmehr bis zu 10.000 Ostdeutsche an der Huldigung der Kiwis von der Weser teilhaben. Daß sich Kolumbien für die WM in Italien qualifiziert hat, werde „ein Lächeln ins Land derer bringen, die durch den Drogenkrieg so gebeutelt sind“. Die Enge im fernen fremden Europa müsse man sich so vorstellen, als lebten „die Menschen quasi übereinander“. Und in Italien, besonders in den Medien, gebe es „Unmengen an Korruption“. Da werde doch glatt behauptet, er wolle beim AC Florenz unterschreiben, was nichts als ein Gerücht sei, obwohl er dort „soviel Geld verdienen könnte“, wie er es sich „in keinem Traum vorzustellen“ wage. Schon sein Gehalt in Bremen sei, als habe er „eine Goldader ausgegraben.“
Rufer müht sich gelegentlich um Bescheidenheit. Daß ihn „Deutschlands populärstes Magazin“, der 'Kicker‘, zum „besten Neueinkauf der Saison“ gekürt habe, könne nur daran liegen, daß die Deutschen nicht glauben wollen, daß ein Kiwi den Fußball genausogut wie ein Rugby-Ei zu treten wisse. „Schmeichelnd“ fand er es, darüber hinaus als bester Angreifer der Liga gelobt worden zu sein. Sein Marktwert sei darob auf mittlerweile vier Millionen Dollar emporgeschnellt, eine Folge nicht allein von Schweiß und Schußglück. Sein kometenhafter Aufstieg in der Bundesliga, verriet er der Presse, liege eben in der Intensität seines Gottesglaubens begründet. Erst sei sein Vertrauen in den Herrn „wie eine Rakete emporgeschossen“, dann sei der Torjubel als bescheidener Erdenlohn gekommen und habe ihn selbst die neapolitanische „Hölle von San Paolo“ überstehen lassen.
Dortselbst habe er, niemand sonst, „Maradonas Trikot mit der Nummer 10 als ein Souvenir“ bekommen. „Yahoooo“, so sein Kommentar. Es war die Freude eines kleinen Jungen, eines von 27 Jahren, der eilends versichert, noch einige Jahre in Bremen spielen zu wollen. Schließlich habe er einen Kameraden zum Vorbild, der noch im Alter von 40 neben ihm stürme. Merkwürdig muß es zugehen in der weltberühmten „german soccer league“, fast so merkwürdig, wie uns Kontinental-Europäer jener Sport anrührt, den sie hier Cricket nennen.
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