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Japan hat keine Angst vor der Festung Europa

Lockeres Geplauder zwischen EG-Chef Delors und Ministerpräsident Kaifu in Brüssel / Europäische Sorgen gegenüber der Exportmaschine Japan nicht ausgeräumt  ■  Aus Brüssel Michael Bullard

Von Wirtschaftskrieg war während des Besuchs des japanischen Ministerpräsidenten Toshiki Kaifu bei EG-Chef Jacques Delors am Mittwoch in Brüssel nichts zu spüren. Die drohende „ökonomische Kolonialisierung Europas durch die Japaner“, vor der noch vor kurzem Peugeot-Chef Jacques Calvet gewarnt hatte, findet scheinbar nicht statt. Allenfalls „Enttäuschung“ über die unfairen Praktiken der japanischen Handelspartner äußerte der Kommissionspräsident. Streitpunkte, wie die EG-Importquoten für japanische Autos oder die Anti-Dumpingpolitik der EG gegenüber künstlich verbilligten japanischen Waren, wurden dann auch von Kaifu und Delors bei ihrem Palaver nur gestreift. Stattdessen unterhielten sie sich „allgemein“ über Osteuropa, die GATT -Verhandlungen und japanisch-amerikanisch-europäische Zusammenarbeit auf Weltmaßstab. Immerhin verabredeten sie für Juni eine Konferenz auf Ministerebene, die den nicht bestehenden Dialog zwischen den beiden Wirtschaftsgiganten ankurbeln und Delors aufmuntern soll.

Daß das Treffen im Berlaimont- Palast der EG-Kommission trotz des jüngsten Kriegsgeschreis zu einer Friede-Freude -Eierkuchen-Zeremonie im japanischen Stil wurde, lag auch an den beiden Gesprächspartnern: Dem japanischen Ministerpräsidenten dient die Europareise der innenpolitischen Imagepflege. Beim anstehenden Wahlkampf ist internationales Ansehen gefragt, Zwist mit den Handelspartnern würde das polierte Bild stören. Delors auf der anderen Seite ist nur abstrakt für das Verhältnis der EG mit Japan zuständig. Denn bis heute konnten sich die zwölf zu keiner einheitlichen Außenwirtschaftspolitik gegenüber Japan durchringen. Stattdessen gibt es eine Vielzahl bilateraler Handelsverträge und einzelstaatlicher Importbeschränkungen, die häufig zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen nationalen Regierungen und der EG-Kommission führen. Letztes Beispiel: Die Kommission und die britische Regierung sind der Meinung, daß die in Großbritannien hergestellten Nissan-Autos wie Fahrzeuge EG-internen Ursprungs behandelt und entsprechend nicht auf die Importquote für japanische Autos angerechnet werden sollen. Die Regierung in Rom hingegen will die Autos wie japanische Erzeugnisse mit den entsprechenden Einfuhrbeschränkungen behandelt wissen. Ein kürzlich ausgehandeltes „gentlemen's agreement“ begrenzt den japanischen Anteil am europäischen Automarkt auf 12 Prozent.

Handelsvertrag noch offen

Während die EG in letzter Zeit Handelsverträge mit osteuropäischen Ländern en masse abschloß, will es mit der Weltmacht Japan nicht recht klappen. Warum? Nachdem Ende der sechziger Jahre das Handelsbilanzdefizit der EG-Länder gegenüber Japan stark angestiegen war, wurde zwar 1970 begonnen, einen Handelsvertrag zwischen der EG und Japan auszuarbeiten, der die bilateralen Verträge zwischen Japan und den einzelnen Mitgliedsstaaten ablösen sollte. Das Projekt scheiterte jedoch an der von der Kommission geforderten Klausel zum Schutz der eigenen Industrien. Die Verallgemeinerung der von einzelnen EG-Mitgliedsstaaten bereits in bilateralen Verträgen durchgesetzten Schutzklauseln wollten die Japaner nicht akzeptieren, andererseits sahen sich diejenigen EG-Staaten, die entsprechende Klauseln vereinbart hatten, außerstande, auf die Ansprüche aus den Schutzklauseln zu verzichten.

Erst 1982 wurde die Zuständigkeit der EG-Kommission für den Handel mit Japan etwas aufgewertet, als das höchste Gremium der EG, der Ministerrat, der Kommission ein Mandat für Verhandlungen mit Japan übertrug. Erstes Ergebnis dieser neuen Aufgabe: 1986 legte die Kommission ein „Globalkonzept“ für die Beziehungen der Gemeinschaft zu Japan vor, das die weiterbestehenden bilateralen Verträge jedoch nicht tangierte. Dem Hauptziel, das wachsende Ungleichgewicht zwischen den Handelsbeziehungen abzubauen, ist die Kommission damit allerdings nicht näher gekommen. Im Gegenteil: Seit 1985 hat sich der japanische Handelsüberschuß mit der EG verdoppelt. Zwar nahmen die EG -Exporte nach Japan in den letzten Jahren zu (1988 etwa um 24 Milliarden Dollar), die Importe aus Japan wuchsen aber im Vergleich dazu viel schneller (1988 um etwas mehr als 46 Milliarden Dollar).

Japans Skepsis gegen EG '92

Seit alle Welt von der Metamorphose der EG in einen einheitlichen Binnenmarkt Ende 1992 spricht, fragen sich auch die japanischen Manager, was sie von dem zukünftig größten Markt in der industrialisierten Welt mit rund 325 Millionen Einwohnern (gegenüber 243 Millionen US-Bürgern und 122 Millionen Japanern) halten sollen. Während Mitsubishi -Manager Mikiya Imagawa einen brutalen pan-europäischen Techno-Nationalismus aufkommen sieht, der sich gegen alles Ausländische richtet, hält Toyotas Europa-Chef Tatsuo Tkahashi Europa '92 für einen sehr interessanten Markt. Andere wiederum bezweifeln, daß aus dem Euro-Projekt überhaupt etwas wird. Dennoch engagieren sich die japanischen Firmen seit Mitte der 80er Jahre vor allem mit Direktinvestitionen in der EG, um „Insider“ in einer möglichen Festung Europa zu werden. Zwischen 1985 und 1988 haben sich die jährlichen Neuinvestitionen japanischer Unternehmen in Europa nahezu verfünffacht. Allein in der Bundesrepublik sind über 400 japanische GmbHs im Einsatz. Im Weltmaßstab betrachtet, nehmen sich die Investitionen allerdings immer noch bescheiden aus: Empfänger der japanischen Direktinvestitionen im Ausland von insgesamt 186 Milliarden Dollar sind in erster Linie die USA (38,6 Prozent), Asien (17,3 Prozent), Lateinamerika (17 Prozent), gefolgt von Europa mit 16,2 Prozent.

Konträr zur landläufigen Meinung, daß sich die japanischen Firmen auch im Ausland hauptsächlich bei der Produktion elektrischer Spitzengeräte hervortun, schreibt das EG -Magazin, daß fast 50 Prozent des investierten Kapitals in Europa auf den Dienstleistungsbereich und dort vor allem auf den Bankensektor entfallen. Im europäischen Finanzzentrum Luxemburg ist beispielweise mehr als doppelt so viel japanisches Kapital investiert als in der Bundesrepublik. Kein Wunder: Inzwischen sind acht der zehn größten Banken der Welt japanisch. Und die Brüsseler Wohnungssuchenden merken, daß die japanischen Unternehmen selbst im Immobiliengeschäft noch stärker engagiert sind als bei der Herstellung von High-Tech-Fernsehern, Radios und Walkmen.

Das heißt allerdings nicht, daß sie nicht auch in diesen Markt führen. Das A und O in der modernen Welt der Elektronik sind die sogenannten Chips. Ohne sie tut sich nichts, weder bei Computern oder Waschmaschinen noch bei Videorecordern, Kameras, Telefonanlagen und Autos. Anfang der achtziger Jahre hielten die US-Amerikaner bei Halbleitern aller Art noch einen Weltmarktanteil von 57 Prozent, die Japaner lieferten ein Drittel der globalen Nachfrage, die Europäer den Rest. Zwischen 1981 und 1982 erhöhten die Japaner ihren Chip-Ausstoß von 9 auf 66 Millionen Stück. 1988 wurde geschätzt, daß die japanischen Hersteller zwischen 50 und 70 Prozent des europäischen Marktes kontrollieren. Als Reaktion darauf hat die EG jetzt Mindestpreisen für japanische Chips zugestimmt, was dem Schutz der europäischen Chip-Produzenten dienen soll, aber gleichzeitig zu Klagen bei den Chip-verarbeitenden Firmen geführt hat, weil sich dadurch die Preise für deren Produkte auf dem europäischen Markt erhöhen. Die japanischen Firmen haben sich unter Führung ihres allgegenwärtigen Handelsministers Miti auf die Vereinbarung eingelassen, um Dumpingklagen in der EG künftig zu vermeiden und ein mit Blick auf '92 günstiges Export- und Investitionsklima zu schaffen.

Die Angst vor dem Ausverkauf Europas und dem Verlust der Kontrolle über die heimischen Wirtschaftsstrukturen, wie sie der anfangs erwähnte Peugeot-Chef Ende letzten Jahres in Brüssel äußerte, sind damit allerdings noch nicht ausgeräumt. Der Münchner Unternehmensberater Peter Kastil geht in seinem Bedrohungsszenario davon aus, daß allein Peugeot in den nächsten Jahren zwischen 50 und 80 Prozent seiner Marktanteile an die Japaner verlieren könnte. Wenigstens haben die Eurokraten mit ihren Klagen erreicht, daß die allgemeinen GATT-Regeln, nach denen der Weltmarkthandel organisiert werden soll und die eine Gleichbehandlung der Handelspartner bei Zöllen vorschreiben, neuerdings von den Japanern anerkannt werden. Die Raki -Trinker bauten ihre im Vergleich zur EG neunmal höheren Steuern auf importierten Wein ab. Übertölpelt trumpfen die christlich-abendländischen Freihändler jetzt mit Rassismen auf: Unverhohlen wird den kleinen Männern mit den schwarzen Haaren und den schmalen Augen ('Spiegel‘) Herrschaftsdrang unterstellt, die Geschichte von der gelben Gefahr aus dem Osten neu belebt.

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