piwik no script img

ACHSENSPRUNG & BILDAUFLÖSUNG

■ „Fotografie Radikal“ von Rudolf Bonvie, Ingo Günther und Ottmar Hörl im Kutscherhaus

Am 1.Mai 1960 schossen sowjetische Raketen den amerikanischen Luftwaffenoffizier Francis H. Powers in 20 Kilometer Höhe über Swerdlowsk ab. Vor dem obersten Gericht des Militärkollegiums in Moskau wurde er der Luftspionage angeklagt. Sein Flug diente der Bilderkundung russischer Rüstungen. Chruschtschow nahm dies Ereignis zum Anlaß, die Pariser Gipfelkonferenz 1960 platzen zu lassen. Luftaufnahmen waren zur Waffe im kalten Krieg geworden.

Die potentielle Bedeutung einer visuellen Information wird kaum irgendwo so dramatisch greifbar wie in solchen Spionagegeschichten. Bilder in erster Linie als Informationsträger und dann erst unter ästhetischen Gesichtspunkten zu begreifen ist auch die Taktik von Ingo Günther. Im Kutscherhaus stellt er zwei Satellitenfotos vor: den Moskauer Flughafen, aufgenommen von einem Satelliten der USA, und einen amerikanischen Flughafen, aufgenommen von einem Satelliten der UdSSR. Mit ihren verfremdenden Farben und geometrischen Strukturen könnten beide Bilder für das nicht geschulte Auge ebensogut aus dem Mikrobereich, aus einem biologischen oder physikalischen Lehrbuch stammen.

Die UdSSR verkauft außerhalb ihres eigenen Staates Satellitenfotos von nicht in ihren Grenzen gelegenen Gebieten, wenn sie die ihr relevant erscheinenden Informationen daraus verwertet hat. Weil das Auflösungsvermögen der sowjetischen Satelliten größer ist als das der amerikanischen, existiert ein Markt für die Aufnahmen. Günther versuchte eine Zeitlang, diese Bilder in den USA an die Medien zu vertreiben. Sie konnten im Kontext bestimmter Ereignisse als zusätzliche Informationen benutzt werden, um den sprachlichen Nachrichten den Anschein von Faktizität zu verleihen. Aus diesem aufreibenden Geschäft ausgestiegen, setzte Günther schließlich die Bilder ein drittes Mal ein, diesmal als Gegenstand der Ästhetik und der Reflexion über die Möglichkeiten des Bildes. Spionage Nachricht - Kunst: Die Abfälle der Informationstechnik werden zum Kunstprodukt. Ihr ästhetischer Wert steigt umgekehrt proportional zu ihrem informativen Wert. Ihren realen Bedeutungsverlust kompensiert die Inszenierung im Kunstraum durch ideelle Bedeutung. Die doppelte Geschichte der künstlerischen Karriere und des informativen Abstiegs der Bilder liefert einen ironischen Kommentar zur Bedeutung von Kunst als Resteverwerter der Technologie.

Im Umgang mit Bildern hat sich Ingo Günther auf die Entstehung von Nachrichten spezialisiert. Er sucht unter anderem nach einer visuellen Sprache, um den ökologischen Zustand der Welt ins Bild zu setzen. Von den Möglichkeiten der Visualisierung hängt nach seiner Auffassung ab, ob die Medien einen Fakt als bedeutende Nachricht gewichten. In der Ausstellung „Ressource Kunst“ (Berlin, Akademie der Künste und Bethanien, 1989) baute er 30 handelsübliche Globen auf, auf denen er die symbolische Darstellung der Erde entsprechend den Daten über die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und Verschiebungen der ökologischen Balancen veränderte. Die Konventionen, nach denen Globen gezeichnet und gelesen werden, vermitteln trügerische Sicherheit über den Bestand der Erde.

Im Mittelpunkt einer kleinen Installation im Kutscherhaus steht ebenfalls ein kleiner Globus, diesmal weiß. Seine hell strahlende Leere anstelle der abstrakten Zusammenfassung des auf der Erde Existenten löscht alles aus. Er ist umgeben von „helfenden Händen“, kleinen Stativen, die ein Stückchen Filmbild halten, das nur mittels einer Lupe erkennbar ist. Das Verhältnis des Wahrnehmenden zum Objekt - Nähe und Distanz, Vergrößerung und Verkleinerung - wird hier durchgespielt.

Aus der Gefährdung und der Auflösung bezieht Rudolf Bonvies Serie „Rhapsodie nucleaire“ ihre Spannung. Nach dem Atomunfall von Tschernobyl begann der Kölner Künstler, die Atomkraftwerke in der Bundesrepublik und in Frankreich zu fotografieren. In großformatigen Fotoarbeiten verfremdete er ihre Ansichten. Er ließ sich von der Monumentalität der Bauwerke zu ihrer Ästhetisierung verleiten. Aus mächtigen Beton-Kuben und Kuppeln wurden schwarze Silhouetten auf grauem Grund. Gitter isolierte er als helle und transparente Lichterscheinungen auf schwarzen Flächen. Unter den Stacheldraht der Umzäunungen blendete er Aufnahmen ruinöser und verfallener Bausubstanz aus Pompeji. Die angegriffene Zartheit der Flächen suggeriert eine Verletzbarkeit und Vergänglichkeit eben jener Bauwerke, die die zerstörerische Potenz bergen. Bonvie nahm den gewaltigen Atomburgen ihre Festigkeit, als wären die Anlagen nicht aus Beton und Stahl, sondern Licht und Schatten gebaut. Die Bedrohung, die von den Atomkraftwerken ausgeht, versuchte er nicht real zu beschreiben, sondern als irreale Komponente der Faszination zu begreifen. Er steigerte ihr Ansehen zu dem magischer Festungen, die unangreifbar in einem Niemandsland liegen. Die Architektur der Atomkraftwerke liest er als eine Inszenierung, die zwischen sich und den Ankommenden einen bannenden Ring schiebt und Unterwerfung fordert, um schon den bloßen Gedanken an Widerstand zu ersticken.

Ihre Funktion als Orientierungshilfen im Raum verlieren die Fotografien von Ottmar Hörl. Auf oben und unten ist nicht mehr Verlaß. Durch die Stadt Singen fuhr er mit einer automatischen Kamera, die auf eine Radkappe montiert war: In den Bildern scheinen sich alle Linien zur Kreislinie zu krümmen, und das Haus am Straßenrand wirkt selbst wie um eine Kugel rotierend. Für „Sightseeing“ warf er fünf Kameras über Süddeutschland aus einem Flugzeug ab. Im Sturz um ihre Achse gewirbelt, nehmen sie über sich die Erde und unter sich den Himmel auf. Informationsgehalt äußerst fragwürdig, nachrichtendienstlich untauglich. Wenn die gewohnten Achsen des Blicks auf etwas, frontal oder von oben, verlassen werden, scheint der aufgenommene Gegenstand selbst aus der Achse gesprungen.

Hörl, Bonvie und Günther unterziehen die visuelle Kommunikation mittels Fotografie einem Tauglichkeitstest. Ihre ästhetischen Umformungen sind Experimente des Sehens.

Katrin Bettina Müller

„Fotografie Radikal“ von Bonvie, Günther und Hörl im Kutscherhaus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen