: Japanische Chip-Hersteller mit neuer Strategie
Lehrbuchhaftes Verhalten auf den drohenden Preisverfall /Drastische Produktionsdrosselung deutet auf neue Chip-Generation /EG-Abwehrmaßnahmen hinken hinterher ■ Aus Tokio Georg Blume
Nippons Chip-Produzenten satteln um. Toshiba, Hitachi, NEC, Mitsuibishi und Fujitsu Electric, diese Handvoll japanischer Großunternehmen, deren Vorsprung die Konkurrenten in den USA und Europa heute noch fürchten und beklagen, haben ihre Produktion gedrosselt. Der Grund: Ihre Chips ließen sich im vergangenen Jahr nicht mehr zu den früheren Konditionen verkaufen. Japanischen Schätzungen zufolge fiel der Marktpreis für 1-Megabit-Chips (DRAM), dem weitverbreitetsten elektronischen Rohstoffprodukt, im zweiten Halbjahr 1989 um zwei Drittel auf annähernd 13 DM pro Einheit. Das geschah, obwohl alle Welt gerade dieser Industrie die größte Blüte moderner Zeiten versprach. Bis heute wird uns erklärt, mit dem Techno-Rohstoff Chip verfügten die Japaner über den Schlüssel in die elektronische Zukunft. Der Westen gerate in Abhängigkeit. Aber nun rüsten die Chip-Hersteller in Japan von alleine ab. Wie läßt sich dieser plötzliche Strategiewechsel erklären?
Die japanischen Unternehmen, die 85 Prozent des DRAM -Weltmarktes beherrschen, verkündeten eine Woche nach Jahresbeginn unisono, im ersten Halbjahr 1990 ihre Chip -Produktion um durchschnittlich zehn bis 15 Prozent herunterzufahren. Toshiba beispielsweise, der Welt größter DRAM-Produzent, wird statt monatlich neun Millionen Chips nur noch sieben bis acht Millionen herstellen. NEC geht um 17 Prozent auf fünf Millionen Chips im Monat herunter. Mitsuibishi Electric kürzt gar 20 Prozent. Das haben die Unternehmen natürlich miteinander abgesprochen, wie es sich in Nippons freier Geschäftswelt von selbst versteht: „Wir haben von der letzten Rezession (vor fünf Jahren, d. Red.) gelernt“, erklärt Fujitsu-Electric-Chef Hikotaro Masunaga, „wir wollen einen Preiswettbewerb auf dem Markt vermeiden.“
Das klingt für Europäer wie blanker Hohn, ist es aber nicht. Das jetzt eingeleitete Rückfahren der Produktion ist ein schon fast lehrbuchmäßiges Verhalten von Oligopolisten, die auf einen Preisverfall mit Mengenreaktionen reagieren. Noch vor fünf Jahren verstanden sich Fujitsu, Toshiba & Co. aufs beste im Preiswettbewerb. Sie starteten ihren Dumping -Angriff, boten Chips in Europa um ein Vielfaches billiger als in Japan an und erweiterten so ihren EG-Marktanteil von 25 Prozent (1985) auf etwa 70 Prozent (1989). Auf diese Dumping-Strategie folgt jetzt eine Politik der Markterhaltung, die sich an einigermaßen stabilen Chip -Preisen ausrichtet. Deswegen die nahezu kartellmäßig durchgeführte Produktionsdrosselung. Sie war nötig, nachdem die Nachfrage mit der Rezession in der Computerindustrie Einbußen erlitt und die Chip-Produktion weltweit anstieg. Damit ist bereits auf die neue Konkurrenz verwiesen, die den japanischen Unternehmen insbesondere aus Südkorea entgegenkommt.
Die südkoreanische Samsung Electronic Company, so verheißen Wirtschaftspropheten in Hongkong, werde noch in diesem Jahr unter die ersten drei in der Weltrangliste der DRAM-Maker aufsteigen. Denn Samsung-Chips sind derzeit bereits mit 11 DM die billigsten auf dem Weltmarkt. Schon befürchten die japanischen Marktführer, daß die südkoreanischen Konkurrenten die gleiche Marktpolitik einschlagen wie sie selbst vor wenigen Jahren - Preisdumping, um die Konkurrenten in den Ruin zu treiben. Aus diesem Grunde soll jetzt umgesattelt werden.
Bereits seit einigen Jahren differenzieren die japanischen Herstellerfirmen ihr Angebot an elektronischem Speichermaterial. Heute nun planen sie einen entscheidenden Schritt: von der Massenproduktion des 1-Megabit-DRAM zur Massenproduktion eines 4-Megabit-DRAM. Der ist energiesparender und schneller in der Verarbeitung von Datenmaterial als sein Vorgänger. Nur mit einer technologischen Weiterentwicklung des Massenchips, so steht mittlerweile für Nippons Produzenten fest, können sie die derzeit weltweite Vorherrschaft absichern. In diesem Sinne macht auch die jetzige Produktionsdrosselung Sinn. Sie setzt - wenn auch geringe - Kapazitäten für neue Produkte frei und sie sorgt vorübergehend, so lange, wie die neuen Konkurrenten zum Nachstoßen auf den internationalen Märkten brauchen, für Preisstabilität. Immerhin soll dann der neue 4 -Megabit-DRAM bis zum Ende des Jahres auf einen monatlichen Stück-Output in Millionenhöhe gebracht werden.
Damit waren Toshiba und die anderen ihren Konkurrenten wiederum ein Stück vorausgeeilt. Dennoch zeigt die Marktbewegung in der Chip-Branche, wie wackelig eine bereits zur „technologischen Bedrohung des Westens“ hochgeputschte Weltmarktherrschaft sein kann. Freilich werden die anti -japanischen Sprüche weiterhin Konjunktur haben, wenn man wie die EG zur Zeit in Brüssel verfährt. Möglichst noch diesen Monat will Brüssel eine Mindestpreisfestlegung für japanische 1-Megabit-DRAMs in der EG durchsetzen und damit Nippons Chip-Herstellern das Dumping verbieten. Selten hat sich der EG-Protektionismus in ein so naives Kleid gehüllt. Denn zum Dumping bei der 1-Megabit-Chip-Generation hat in Tokio nun wahrlich kein Unternehmen mehr Lust. Da sind die Eurokraten mit ihren Regeln und Erlässen leider einige Jahre hinterher. Schon mehr Sinn könnte es machen, einen Mindestpreis für den neuen 4-Megabit-Chip festzulegen. Doch das wäre in die Zukunft gedacht - zu viel verlangt! Neue Chip-Produkte sind von den EG-Maßnahmen nicht betroffen.
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