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DDR-Avantgarde in Paris

■ 200 deutschdemokratische KünstlerInnen machen Frankreich unsicher

Paris wagt den postrevolutionären Kultur-Flash: Konzentriert in zwei Air-France-Maschinen, landete am Montag die gesamte Jungkünstler-Elite der DDR im selbsternannten Mutterland der Musen. Knapp 200 Tänzer, Maler, Schreiber, Sänger, Comicstripper, Dramaturgen, Rocker, Fotografen, Schauspieler sollen sich vom 19.-21. Januar mit ihren französischen Kollegen austauschen: von „Tom Terror & das Beil“ über Lutz Rathenow und Hanne Wandtke bis zur Modisten-Combo „Allerleirauh“. Kurz: Eine fliegende Arche Noah der DDR -Kultur ist da heil gelandet, deren Absturz - man stelle sich vor! - unabschätzbare Folgen gehabt hätte.

Unter dem Titel „Das andere Deutschland außerhalb der Mauern“ steht zum Wochenende in der Großen Halle des Ausstellungsgeländes in La Villette, einem ehemaligen Schlachthof, ein wahrer Overkill an Kreativität bevor: Auf einer Leinwand von mehreren Dutzend Metern erschaffen deutschdemokratische und französische Maler ein gemeinsames Fresko; Siebdruckwerkstätten, Fotolabors und Kabarettbühnen sind aufgebaut. Eugen Blume präsentiert seine Ausstellung „Bitterfeld 4400“ und in einem „Boris-Vian-Saal“ werden zum Teil noch unbekannte Filmproduktionen gezeigt. Drei Podiumsdiskussionen zum Selbstverständnis der jungen DDR -Kunst sind vorgesehen, an denen unter anderem Jean Baudrillard, Jean-Pierre Faye, Jürgen Fuchs, György Dalos, Mircea Dinescu und Paul Virilio teilnehmen.

Da die Kulturprominenz von Christa Wolf bis Stefan Heym absagen mußte, wird es in La Villette zu einem in dieser Form ungesehenen Aufeinandertreffen von Underground -Künstlerinnen und - Künstlern kommen, die auch in der DDR nur einem kleinen Kreis bekannt werden konnten. Das Happening wird unterstützt vom französischen Kulturministerium und dem französischen Kulturzentrum Unter den Linden.

Der Ostberliner Kunstkritiker Christoph Tannert zeichnet für die Auswahl der Live-Exponate verantwortlich. Jeder Künstler konnte seine Werke mit nach Paris nehmen - wieviele er wieder nach Hause bringen können wird, bleibt abzuwarten. Ausverkauf ist überall.

Alexander Smoltczyk

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