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MÄRCHEN IM ABFALL

■ „Robinson & Crusoe“ im Ballhaus Naunynstraße

Auf einer einsamen Insel begegnen sich ... wieviele Träume vom Paradies und Schreckensvisionen vom Wahnsinn des Menschen bedienten sich nicht schon dieser Vorstellung. Die Insel ist ein Versuchslabor: Hier wird der Mensch auf seine Überlebens- und Gesellschaftsfähigkeiten hin durchgetestet, wie ein Insekt unter die Lupe genommen. Jede Robinsonade gerät zur dramatisch verkappten und verknappten Anthropologie.

In der „Robinson & Crusoe„-Version von Nino D'Introna und Giacomo Ravicchio retten sich zwei abgestürzte Piloten, ehemals Soldaten feindlicher Armeen, auf ein sumpfiges Inselchen. Kaum haben sie sich in anfänglichem Mißtrauen grün und blau geprügelt, beginnt schon ihre echte Männerfreundschaft und die Entdeckung des einfachen Glücks, jeden Tag aufzuwachen, tief durchzuatmen und einen Freund zu haben - auch wenn der leider eine fremde Sprache spricht und andere Lieder singt. Gestenreich ihre Träume von Frauen in die Luft zeichnend, überwinden sie die sprachliche Barriere. Über dem Spaß, gemeinsam eine Flasche zu leeren, kommt den beiden einfachen Gemütern glatt die entscheidende Botschaft für die Flaschenpost abhanden. Ihr Projekt „Fische fangen und essen“ scheitert an der beiden Kerle Herzlichkeit, die einfach keinen Fisch killen können. Nichts kann ihre friedvolle Idylle stören, bis auf den tödlichen Kontakt mit der feindlichen Außenwelt, die dieses harmlose Theaterspiel mit unvermittelter Gewalt beendet.

Clownesk wie zwei täppische Märchenriesen vermitteln Olcay Ergin Ekinci und Aykut Kayacik die naive Botschaft von der Güte des Menschen. Doch das Abgleiten der dramaturgisch und intellektuell (auch für Jugendliche) etwas dünnen Szenenfolge in Kitsch und spannungslose Klischees verhindert der Bühnenklangraum von Peter Ernst G. Tucholski und Michael Maria Kammertöns. Theatermacher und Klangkünstler haben sich bei der E88-Veranstaltung „Krakatau“ kennengelernt und auch inzwischen schon ein gemeinsames Stück an der „Schauburg“ der Münchener Kammerspiele realisiert.

Allerdings setzt das Verständnis der akustischen und visuellen Zeichen ein höheres Abstraktionsvermögen voraus als die einfachen Dialoge. So stürzt gleich zu Beginn mit Getöse die „Katastrophen-Pyramide“ zusammen und signalisiert das Näherrücken irgendeines vorstellbaren Endes der Menschheit. Die Insel aus LKW-Schläuchen, unter einem Himmel aus Plastikabfallsäcken und in einem Meer aus PVC -Wasserschläuchen, ist postkatastrophales Dekor. So wird keine grüne Idylle vorgegaukelt, kein Paradies, in das man fliehen könnte. Vielmehr verweist die synthetische Umgebung aus glänzenden Schläuchen und schwarzem Gummi auf die Bedeutung der Insel als Experimentalstation, in der die Autoren ihr Menschenbild testen. Mit industriellen Abfällen, Kanistern, Trichtern und Draht-Federn ersetzen die Geräuschkünstler das Blubbern des Sumpfes, das Pfeifen der Vögel und Singen der Delphine, das Rauschen von Wind und Wasser. In Momenten der Dunkelheit aber erzeugen sie einen apokalyptischen Lärm, wie den in der Nacht über das Meer wehende Hall einer endlosen Zerstörungsmaschinerie. So steckt in diesem Bühnenklangbild zugleich die Angst vor einer unter ihren Abfällen erstickten Welt und die Utopie eines konstruktiven Umgangs mit den künstlichen Stoffen.

Katrin Bettina Müller

„Robinson & Crusoe“ von „Tausend und eine Ausnahme“, Regie Orhan Güner, Ballhaus Naunynstraße, bis zum 28. Januar, Mi bis So um 20 Uhr, Sa bis So um 16 Uhr, Mi bis Fr für Schulklassen um 11 Uhr.

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