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Freiheit, die sie meinen

■ Nachrichtenfreiheit in den USA: Der Markt diktiert die Gesetze

Patricia Aufderheide

Die Medienpolitik der US-amerikanischen Bundesregierung wird geregelt durch den Ersten Verfassungszusatz (First Amendment). Dort heißt es, die Presse habe von allen Restriktionen der Regierung frei zu sein. Daher akzeptiert jede Regierung zunächst generell, daß die Kommerzialisierung des Fernsehens der Preis ist, den man für die Regierungsunabhängigkeit der Sender zu zahlen hat. Für die Sender besteht die Notwendigkeit, ihr Publikum in Massen den bundesweiten Anzeigenkunden zuzutreiben. Daher ist das, was auf diesem Weg zur öffentlichen Stimme werden kann, der Flachheit und Homogenität des Marktes angepaßt - denn das amerikanische Fernsehen sendet nichts, was nur einem Teil der Bevölkerung gefällt oder wichtig ist, noch weniger einer Niedrigprofit-Gruppe wie etwa Kindern, Alten oder Minoritäten. Es dient auch nicht dem öffentlichen Interesse mit sperrigen Nachrichten- oder Magazinsendungen. Vielmehr bietet es an, wovon sich noch jeder unterhalten fühlt, selbst wenn es nicht seine erste Wahl gewesen wäre. Durch die neue Technik und noch mehr Sender ist diese Tatsache geringfügig variiert, nicht aber wesentlich verändert worden.

Rundfunk- und Fernsehbetreiber jedoch unterscheiden sich von Zeitungsmachern in einem wichtigen Punkt: sie erhalten kostenlos die Lizenz, ein gewissermaßen öffentliches Gut zu benutzen, die Sendewelle. Durch das Kommunikationsgesetz von 1934 sind sie daher ihrerseits angehalten, „im öffentlichen Interesse und Auftrag und nach Notwendigkeit“ zu agieren. Da Rundfunk und Fernsehen in den USA als „regionale Aufgabe“ gesehen werden, müssen sie innerhalb ihrer jeweiligen geographisch bestimmten Publikumsbereiche und für sie agieren.

Die Federal Communications Commission FCC (etwa: Komitee des Bundes für Kommunikation) muß dieses Mandat ausformulieren; es arbeitet die gesetzlichen Regeln aus und kontrolliert ihre Durchsetzung.

Das Komitee und der Kongreß (sein Auftraggeber) haben strikt vermieden, in Programm- und Inhaltsgestaltung einzugreifen, da dies den Ersten Verfassungszusatz verletzt. Statt dessen regelt man die Strukturen, nach denen der Betrieb funktioniert. Beispielsweise wurden Sender davor bewahrt, in kürzeren Zeiträumen als einer Dreijahresperiode gekauft und wiederverkauft zu werden (um auf diese Weise einen Anreiz für Käufer zur Investition in der Nachrichtenversorgung einer bestimmten, regionalen Öffentlichkeit zu geben); die Käufer sollten einen „guten Ruf“ haben und das FCC hat des öfteren Antragsteller vor der Erneuerung der Lizenzvergabe daraufhin überprüft, wie sie im Rahmen ihrer Personalpolitik Frauen und Angehörige von Minderheiten berücksichtigen. Desweiteren wurde nicht selten von Sendern verlangt, ihre Archive öffentlich zugänglich zu machen (so daß die Öffentlichkeit bei Lizenzerneuerungen eventuell Einspruch erheben kann mit dem Nachweis, der Betreiber sei dem öffentlichen Interesse nicht nachgekommen).

Das FCC der Reagan-Ära startete 1980 ein ideologisch motiviertes Programm zur Deregulation mit der Behauptung, der Markt könne wirksamer erreichen, was in der Vergangenheit durch Regulierung versucht worden sei. Innerhalb weniger Jahre waren massenhaft Vorschriften aufgehoben worden. Beispielsweise wurde der Zeitraum der Lizenzvergabe an Fernsehsender verlängert, Erneuerungsaufträge wurden auf Postkartengröße reduziert, ohne jede Berücksichtigung des „öffentlichen Interesses„; die Dreijahresregel (der Nichtverkaufbarkeit) wurde aufgehoben ebenso wie Vorschriften zur Begrenzung der Werbezeit; selbst die Auflage des öffentlichen Zugangs zum Sendearchiv wurde abgeschafft.

Kritik dieser „Un-Regulation“, wie sie der FCC-Direktor der Reagan-Ära, Mark Fowler, nannte, wiesen darauf hin, daß die Aushöhlung der Regulationsvorschriften die Abschaffung aller nicht finanziellen Anreize bedeute, die den Betreiber eines Senders dazu bewegen könnten, dem öffentlichen Interesse zu dienen. Außerdem wären die Sender so eher der Gefahr ausgesetzt, daß die Regierung willkürlich eingreift. In der Tat findet beides bereits statt.

Die Aufhebung struktureller Regulation hatte unmittelbar eine Überhitzung des Sende-Marktes zur Folge. In den drei Jahren unmittelbar nach Abschaffung der Dreijahresregel waren die Hälfte aller Radio- und Fernsehsender des Landes einmal ge- und verkauft, ein Viertel war mehr als einmal wiederverkauft worden (einige innerhalb von 24 Stunden). Die immer höheren Preise für Sender und Sendergruppen zwangen die neuen Manager - von denen viele ohnehin keinerlei Ambition hatten, dem „öffentlichen Interesse“ zu dienen - zu rabiaten Etatkürzungen.

Dabei wurden Nachrichten und öffentliche Angelegenheiten zur primären Zielscheibe. Eine Untersuchung der Radio-TV News Directors Association (Vereinigung von Radio- und Fernsehnachrichtenredakteuren) zeigte 1988, daß die Nachrichtenredaktion an vielen Fernsehsendern der 50 größten Sendebereiche verkleinert und fast die Hälfte aller unabhängigen Sendungen um mindestens 30 Prozent reduziert worden waren. Auch die nur wenig profitträchtigen Erziehungs - und Bildungsprogramme für Kinder waren den Etatkürzungen zum Opfer gefallen. Deregulierung machte dies noch einfacher: Vorschriften gegen überlange Werbesendungen wurden ebenso gelockert wie die zur Beschränkung von Werbung im Kinderfernsehen und zum „Gemeinschaftsauftrag“ öffentlicher Sender allgemein. Bereits 1983 war der Anteil von Bildungs- und Informationssendungen für Kinder von 11,3 Stunden auf 4,4 Stunden pro Woche gesunken. Statt dessen können Kinder die inzwischen erlaubten Sendungen von Spielzeugproduzenten ansehen, in denen die neuesten Produkte lanciert werden. Die Zahl dieser Verkaufsschau-Sendungen ist von 13 (1983) auf 70 (1989) hochgeschnellt.

Sowohl die Anzahl der Werbespots als auch die Gesamtwerbezeit im Fernsehen sind gestiegen. Statt 147 täglicher Werbespots (1982) sind heute 176 zu sehen (einige allerdings auch kürzer als früher). Die Werbezeit im Kinderfernsehen ist bei sehr vielen Großsendern angestiegen, selbst wenn man die langen Gesamtwerbesendungen nicht mitzählt.

Viele Sender haben sich in Konkurrenz mit Kabelfernsehen und Video ziemlich gewagte und auf Sensation setzende Sendungen einfallen lassen, um ihr Publikum zu halten. Talkshows, in denen der Gastgeber zur Freude johlender Studiozuschauer äußerst rüde mit seinen Gästen umspringt, gibt es inzwischen zuhauf. Sogenannte „Wirklichkeitssendungen“, in denen wie in der Boulevardpresse Grausiges und Absurdes bunt gemischt werden, erfreuen sich ebenfalls großer Beliebtheit. Die Programmacher behaupten frech, solche Sendungen - wie die von Geraldo Rivera über Satanismus - seien Nachrichten bzw. Angelegenheiten des öffentlichen Interesses. Ebenfalls zugenommen haben die Zahl der Sex- und Gewaltsendungen, besonders seit der Streichung senderinterner Kontrollkommissionen.

Unmittelbare Folge dieser Entwicklung waren die Proteste konservativer Gruppen gegen das, was sie als Unmoral bezeichnen. Im Mai 1989 organisierte ein Pfarrer, Leiter einer Aktion „Für Moral“, den Zusammenschluß von Zuschauern; sie machten es sich zur Aufgabe, Sender und ihre Programme zu beobachten und Boykotts gegen solche Konzerne und ihre Produkte auszurufen, die Werbespots innerhalb von Sendungen zu schalten wagten, die fundamentalistische Christen als anstößig empfinden mußten.

Das „National Right to Life Committee“ und andere Antiabtreibungsgruppen protestierten gegen die Entscheidung von NBC, den Dokumentarspielfilm Roe versus Wade zu senden, in dem es um das Urteil des Supreme Courts für das Recht auf Abtreibung geht. Coca Cola und Eastman Kodak zogen daraufhin ihre Werbeaufträge zurück. Eine Hausfrau aus Michigan, die empört war über die ziemlich krasse Fernsehshow „Married... with children“, schrieb einen Brief an die Sponsoren und erhielt zur Antwort, man würde sich die Schaltung von Werbeanzeigen neu überlegen; eine der unterstützenden Firmen zog ihre Anzeigen sofort zurück.

Diese Vorfälle zeigen, wie relativ kleine gesellschaftliche Gruppen durch ihren Angriff auf Anzeigenkunden zu Ad-hoc -Zensoren werden und wie schnell die Haltung der Sender, Profit um jeden Preis zu machen, sie mit ihrer eigenen Programmplanung in Konflikt bringen kann.

Einige Konservative brachten ihre gesammelten Bedenken beim FCC vor, das dann unter dem Druck von Religiösen und Rechten seine Definition von Unsittlichkeit 1987 weiter faßte als vorher. Die neue Definition ist derartig vage, daß man nur von Fall zu Fall konkret sehen kann, was das FCC wohl genau gemeint hat.

Unter den ersten, die der Unsittlichkeit beschuldigt wurden, war ein linker Radiosender in San Francisco, dessen nächtliche Übertragung eines Films über Homosexuelle der Anlaß zur Neudefinition von Unsittlichkeit gewesen war. Ein Fernsehsender bekam wegen eines Sexfilms ein Untersuchungsverfahren. Viele Rundfunk- und Fernsehleute argumentierten, daß solch vage Definitionen von Unsittlichkeit de facto Zensur sei oder doch die Androhung von Zensur, da man, um seine Lizenz nicht zu verlieren, lieber auf Nummer Sicher geht. Über diese Frage wird zur Zeit vor Gericht gestritten.

Welche Wirkung Deregulation auf politische Rundfunk- und Fernsehberichterstattung hatte, ist schwerer auszumachen als auf dem Gebiet persönlicher Moralfragen. Beispielsweise ist schwer zu messen, welche Folgen das Fehlen von Sendungen über regionale Fragen - die übrigens nie die starke Seite des Fernsehens waren - in Regionalsendungen hat oder haben wird.

Bei den Wahlen von 1988 ließ sich dennoch einiges beobachten. Nach einer Vorschrift, die weiterhin in Kraft geblieben war, muß ein Sender, der einem Anzeigenkunden Zeit zur Stellungnahme zu einem wahlrelevanten Problem verkauft hat, der gegnerischen Seite kostenlos Zeit zur Gegendarstellung einräumen, falls diese nicht in der Lage ist, sich ihrerseits Zeit zu kaufen. Viele Sendebetreiber wissen das nicht, weil diese Vorschrift einmal Teil der „Fairness Doctrine“ war, die jedoch als Ganzes aufgehoben worden war; sie besagte, daß kontroverse Standpunkte gesendet werden müssen (ohne jedoch Form oder Länge vorzugeben).

Zwei unabhängige Organisationen untersuchten mehr als 400 Rundfunk- und Fernsehsender, die zu wahlrelevanten Problemen Werbezeit verkauft hatten (zum Beispiel an die Getränkeindustrie, die gegen einen Recycling -Gesetzesvorschlag agitierte). Sie fanden heraus, daß fast die Hälfte der Sender, die die Vorschrift nicht kannten, sich geweigert hatten, Gegendarstellungen kostenlos zu senden. Dagegen hatten fast alle, die die Vorschrift kannten, kostenlose Gegendarstellungen zugelassen. Dies Ergebnis zeigt, daß ohne gesetztliche Regeln der Fairneß Sendebetreiber dazu tendieren, nur ein Minimum an eigener Verantwortung aufzubringen.

Die Hoffnung der Ideologen der Reagan-Ära, der Markt könne die staatliche Reglementierung ersetzen, hat sich nicht erfüllt. Die größte Schwäche des kommerziellen Systems Unterwerfung aller öffentlichen und gesellschaftlich schwachen Gruppeninteressen unter das kommerzielle Interesse der Anzeigenkunden - wurde nur noch deutlicher sichtbar. Umgekehrt ist die Macht kleiner, unrepräsentativer Gruppen („Für Moral“ u.a.) ernorm angewachsen.

Im Kongreß dominieren die Demokraten, die gegen die Deregulation sind, vielleicht wird er die Reglementierung teilweise wieder einführen. Aber solche Reparaturarbeiten finden jetzt in einer äußerst ideologisierten Atmosphäre statt, die nicht im mindesten dazu angetan ist, ein fortschrittliches Regelwerk für den in hektischer Veränderung befindlichen Fernsehmarkt zu schaffen.

Patricia Aufderheide ist Assistentin an der „School of Communications“ an der „American University“ und Redakteurin der Zeitung 'In These Times‘

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