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ANGST VOR DEUTSCHLAND

■ Torsten Modrow - Chef des Szeneklubs „JoJo“

Man mag es auf den ersten Blick nicht glauben wollen, aber der Mann, der sich da unter der Gorbatschow-Ikone etwas verlegen und unsicher der Fotografin präsentiert, ist einer der wesentlichen Sachen in Sachen alternativer Kultur. Und nicht nur, weil er der Schwiegersohn des DDR-Premiers Hans Modrow ist, wie böse Zungen behaupten können. Im Gegenteil: Noch kurze Zeit vor dem revolutionären Herbst galt der Name des jetzigen Regierungschefs unter den politischen Hardlinern eher als belastende Hypothek, auf keinen Fall als Empfehlung für eine schnelle Karriere des Schwiegersohnes, zu sehr hatte der ehemalige SED-Bezirkschef von Dresden noch unter Honecker die Grenzen des damals Möglichen ausgereizt. Und auch heute, Wochen nach der Wende in Politik und Öffentlichkeit, bringt ihm der Prominentenname mehr Feinde als gute Freunde.

Torsten Modrow, im Jahr des Mauerbaus 1961 geboren und als gelernter Maurer durchaus versiert im Umgang mit dem Basic des Volkes, hat sich seine Stellung als Klubchef eines der renommiertesten Szenetreffs des Landes hart erarbeiten müssen. Maurerlehre, Armeedienst, Sachbearbeiter, fünf Jahre Praxis in verschiedenen Kultureinrichtungen - eine durchaus normale DDR-Biographie. Und zumindest im Arbeitsstil, bescheinigen die fünf hauptamtlich und 30 nebenberuflich arbeitenden Mitarbeiter, sei er mit dem Regierungschef vergleichbar: sachlich, fleißig, direkt. Im nach Wegfall des Zwangsumtausches noch günstiger gelegenen Klub „Jojo“ in der Wilhelm-Pieck-Straße managt er seit 1988 ein anspruchsvolles Programm. Dabei kam ihm sicherlich der Umstand zu Hilfe, daß es nur eine sehr geringe Anzahl solcher Veranstaltungshäuser mit einer Kapazität von über 300 Besuchern in der DDR gibt. Der eigentliche Prototyp des FDJ-Jugendklubs ist wesentlich kleiner, bieder eingerichtet und wirtschaftlich uneffektiv, mit dem Styling des Jojo kaum zu vergleichen.

Gelassen, aber nicht kokett, beantwortet er dann auch meine Frage, ob er nicht Angst habe bei solchen militanten Äußerungen gegen seine Person: „Angst schon, aber nicht vor solchen Leuten, meist ehemaligen DDR-Bürgern, die jetzt mit dem nötigen Kleingeld hier den großen Max markieren wollen.“ Torsten Modrows Angst sitzt tiefer. Fast prophetisch malt das Mitglied der SED-PDS ein düsteres Bild der kommenden Landschaft, falls die politische Dynamik der Straße anhalte: Verlust kultureller Eigenständigkeit, Verfall moralischer Werte, die DDR letztlich als schlechte und billige Kopie des bundesdeutschen Originals. Auch er sieht die Zeichen auf deutsche Vereinigung gestellt und weiß so recht nicht, wie die stärker werdende Massenpsychose unter der Bevölkerung in die „richtige“ Richtung kanalisiert werden könnte. Aber er hat Angst vor dieser deutschen Einheit, nicht nur aus großen, politisch-abstrakten Gründen heraus: „Weiß man, ob nach der Wahl am 6. Mai das SED-Mitglied Torsten Modrow dann noch Klubchef sein wird? Es ist doch durchaus denkbar, daß es für Leute wie mich dann Berufsverbot geben wird.“

Und er glaubt weiterhin, daß die SED-PDS die einzige Partei ist, die „so etwas wie eine sozialistisch-humanistische Gesellschaftsordnung durchsetzen kann“ und stellt sich vor, daß die jetzt in die Krise geratene Partei in Zukunft zu einer echten Zufluchtsstätte linken Denkens werden könnte. Deshalb bleibt er, wo viele fortgehen. Und als Zufluchtsstätte, als kulturelles Asyl verplant er auch die 900 Quadratmeter seines Klubs. Rassismus und Fremdenhaß haben derzeit Hochkonjunktur in der DDR. Angriffe auf Farbige, Polen und Vietnamesen, vor allem im Zusammenhang mit einer von den offiziellen Medien geschürten Angst des wirtschaftlichen Ausverkaufs, nehmen tagtäglich besorgniserregend zu. Irgend jemand muß doch Schuld haben an der Misere des Landes, meinen die ewigen Mitläufer und zeigen mit Fingern auf die eher geringe Anzahl der in der DDR lebenden Ausländer. Torsten Modrow will mit seinem Klub gegensteuern, ist sich aber auch der damit verbundenen Schwierigkeiten bewußt: „Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß, wenn ein Klub sich ganz bewußt dieser Ausländerproblematik zuwendet, also eine Zufluchtsstätte für diese Leute sein wird, dann zum ersten gehören wird, daß hier mal eine Feuerbombe rumliegt. Auch daß die Leute, die das Konzept dann nach außen hin öffentlich vertreten, also die Mitarbeiter des Klubs, dann ganz verrückt angegriffen werden, ist klar. Als ich von West-Berlin rüberkam nach dem 9. November, habe ich zu mir immer gesagt: Irgendwie fühlst du dich hier in Sicherheit, obwohl das alles so provinziell ist. Dieses Gefühl von Sicherheit ist jetzt vorbei.“

Paul Kaiser

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