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Marxismus und Demokratie

■ Ein Gespräch mit Uwe-Jens Heuer, Autor von „Marxismus und Demokratie“

Vor dem „Herbst 89“ erschien im Staatsverlag ein Buch, das schon damals für die Reform des Sozialismus in unserem Land plädierte: „Marxismus und Demokratie“ von Uwe-Jens Heuer. Beginnend mit der Französischen Revolution und endend mit der Umgestaltung in der Sowjetunion, wurde hier erstmals in unserer Literatur das marxistische Demokratiedenken bis hin zu Gorbatschow aufgearbeitet. In den Oktobertagen ist das Buch dann weitgehend untergegangen. Heute - drei Monate später - gemahnt es uns, den Demokratieansatz von Marx nicht zu vergessen. Über seine früheren Motive und seine heutige Sicht führte Brigitte Hering mit ProfessorDr.Uwe-Jens Heuer, Wirtschaftsrechtler am Institut für Theorie des Staates und des Rechts an der Akademie der Wissenschaften der DDR, folgendes Gespräch:

Genosse Professor Heuer, Bücher brauchen Zeit, zu wirken. Deines wurde buchstäblich von den Oktoberereignissen überrollt. Manches mag dem Leser schon überholt erscheinen. Wie stehsts du heute zu dem Geschriebenen, was siehst du jetzt anders?

Damals habe ich gemeint, die eigentliche Grundfrage ist die der Demokratie in der Partei. Es gab in der SED eine starke Opposition. Fast keiner meiner Freunde, Bekannten und Genossen verteidigte die Politik der damaligen Führung. Aber es hat sich gezeigt, daß eine Änderung der Politik aus der Partei heraus nicht möglich war. Die Parteimitgliedschaft war nicht in der Lage, die Politik der Parteiführung zu beeinflussen, zu ändern, zu bestimmen. Wir müssen darüber nachdenken, was da falsch gemacht worden ist und was wir falsch gesehen haben.

Ich habe in meinem Buch eine Reihe prinzipieller Fragen der Änderung des politischen Systems des Sozialismus gestellt. Das reicht von der Frage der Interessen, der Rolle der Wissenschaft über die politische Kultur bis zum Rechtsstaat. Ich war der Meinung, daß eine Änderung auf allen diesen Gebieten auch die Partei verändern würde. Die Frage, die ich mir nicht gestellt habe, war die Frage nach der Gesamtstruktur eines neuen und anderen politischen Systems. Die Frage des politischen Pluralismus habe ich nicht konsequent zu Ende gedacht, die Frage also, ob es im Sozialismus eine politische Gesellschaft im Sinne von Hegels bürgerlicher oder vielleicht besser: ziviler Gesellschaft geben kann.

Ich habe dein Buch erst jetzt gelesen, mit heutigen Augen sozusagen, und ich finde, daß viele der von dir vertretenen Positionen von Tag zu Tag aktueller werden. Ich denke dabei zum Beispiel an den Demokratieansatz von Marx, die Frage des Gemeineigentums. Bedarf es tatsächlich der breiten Wiedereinführung von Privateigentum, um Arbeitsmotivation zu entwickeln und zu einer funktionierenden Demokratie zu gelangen?

Ich wollte damals und will heute einen demokratischen Sozialismus, der politische Vielfalt auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums garantiert. Dabei kann gesellschaftliches Eigentum durchaus mit Privateigentum verbunden werden, aber es muß dominant bleiben. Aber ich weiß nicht, ob wir heute noch in der Lage sind, eine solche Ordnung in unserem Land zu schaffen.

Wir Rechtswissenschaftler haben in den Debatten um die Wirtschaftsreform darum gerungen, solche Fragen in die Diskussion einzubringen. Ich meine, daß die Mitbestimmung in unseren Betrieben weit über das im Kapitalismus Mögliche und Erreichbare hinausgehen kann und muß. Die Arbeiter werden volkseigene Betriebe nur dann verteidigen, wenn sie sie als volkseigene Betriebe erkennen.

Die in Expertenrunden diskutierte Vorstellung, in „sozialistischen Unternehmen“ „Aufsichtsräte“ zu bilden und diesen dann „Betriebsräte“ gegenüberzustellen, orientiert sich doch unübersehbar an einem ganz anderen Muster...

...Wir Juristen haben die Bezeichnung Wirtschafts- und Sozialrat vorgezogen, weil wir gerade den Anklang an Aufsichtsräte kapitalistischer Gesellschaften vermeiden wollen, der anderen offenbar gerade sympathisch ist. Solche Wirtschafts- und Sozialräte sollten den gesellschaftlichen demokratischen Charakter unseres Eigentums stärker gewährleisten, und zwar durch Mitbestimmung nicht nur von Vertretern der Belegschaft und der Gewerkschaften, sondern auch von Repräsentanten der Volksvertretungen.

Was hältst du von der Theorie des dritten Weges?

Mein Freund Dieter Segert hat vor kurzem auf deiner Forumseite geschrieben, das Konzept des 3.Weges orientiert auf eine grundsätzliche kritische Analyse der beiden bisherigen Wege. Ich habe eine große Sympathie für das Anliegen dieser Genossen, eine neue Weltvision zu entwickeln.

Ich meine aber, daß es uns heute vor allem darum gehen muß, eine praktikable Konzeption für unser Land zu entwickeln. Und wir sollten uns damit abfinden, daß die DDR ein kleines Land ist, das seinen nun einmal vorhandenen Widerspruch zur übermächtigen BRD nicht mit Weltvisionen lösen kann. Das haben wir lange genug versucht. Ein solches Programm - und das ist schwierig genug - muß an das Bestehende und seine Veränderung anknüpfen.

Es gibt ein internationales Interesse am Fortbestand der DDR, möglicherweise im Rahmen einer Konföderation mit der BRD. Dieses Land kann nicht eine einfache Wiederholung, Kopie der BRD sein. Es muß auf Grund seiner Erfahrungen, seiner sozialistischen Elemente ein eigenständiges ökonomisches und politisches System entwickeln, das links von der Bundesrepublik orientiert ist. Mir scheint das der einzig vernünftige und chancenreiche Weg zu sein.

Auszüge aus einem Interview in 'Neues Deutschland‘, 27.1.90

In der BRD ist „Marxismus und Demokrtaie“ von Uwe-Jens Heuer im Nomos-Verlag erschienen: 492 Seiten, 39 DM

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