: „Ein wenig Munition und ein Wasserwerfer eingespart...“
■ Interview mit dem Polizeiexperten der Alternativen Liste, Heinz Weiß, zur rot-(grünen) Polizeipolitik: „Wir befürchten, daß von diesen schönen Deeskalationskonzepten nicht mehr so wahnsinnig viel übrig bleiben wird...“
Am Donnertag abend zogen AL-Politiker im Rathaus Schönberg nach einem Jahr rot-grüner Regierungspolitik Bilanz. Auf der Tagesordnung stand der Verfassungschutz (siehe Bericht auf Seite 30) und die Polizei. Eine kurze Bilanz zum Thema Sicherheitspolitik zog im Gespräch mit der taz der langjährige AL-Polizeixperte und Rechtsanwalt Heinz Weiß, der vor einem Jahr an den Koalitionsverhandlungen beteiligt war.
taz: Du hast ein Resümee bezüglich der Sicherheitpolitik gezogen, wie sieht das in Stichpunkten aus?
Heinz Weiß: Vorausschicken muß man erst einmal, daß die Koalitionsvereinbarung nichts von dem enthält, was die AL an grundsätzlichen Positionen hat - wie zum Beispiel Verkleinerung der Polizeistärke, Auflösung der geschlossen Polizeieinheiten, Abschaffung der Polizeireserve und Entwaffnung der Polizei in weiten Bereichen. Entstanden ist damals eine Koalitionsvereinbarung, die eine rein sozialdemokratische Sicherheitspolitik beinhaltet, und davon ist nach unserer Meinung durchaus einiges umgesetzt worden. Das kann man auf der Straße am Demonstrationsgeschehen spüren, wo es bei einigen Demos tatsächlich Ansätze zur Zurückhaltung bei der Polizei gegeben hat. Allerdings haben wir in letzter Zeit feststellen müssen, daß die Polizei bei den Kreuzberger Kiezdemos wieder mehr in alter Weise vorgeht und draufhält. Wir befürchten, daß von diesen schönen Deeskalationskonzepten nicht mehr so wahnsinnig viel übrig bleibt.
Gibt es noch weitere Kritikpunkte?
Oh, wir haben reichlich Kritik. Das fing an mit der Kripozentrale, die wir versucht haben zu verhindern, was aber letzlich an den ganzen haushalts- und baurechtlichen Festlegungen gescheitert ist. Als Gegenleistung wurde ein wenig Munition und ein Wasserwerfer eingespart. Weiterer Kritikpunkt ist, daß die freiwillige Polizeireserve immer noch existiert, und daß der Bericht für die Maßnahmen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung immer noch nicht vorliegt. Der soll ja erstellt werden, um rauszukriegen, was da alles an illegalen Methoden angewendet wird, wie etwa verdeckte Ermittler und V-Leute. Und schiefgelaufen ist weiter, daß die Auflösung der EbLT durch das Schaffen einer Eingreifreserve unter Beteiligung des SEK (Sondereinsatzkommando, d. Red.) letzlich unterlaufen wurde.
Worauf will die AL in Zukunft den Schwerpunkt legen?
Der Schwerpunkt wird die Novellierung des Polizeigesetzes (ASOG) sein. Da sollen die nach dem Volkszählungsurteil fehlenden rechtlichen Grundlagen für Datenerhebung, -verarbeitung und -speicherung gelegt werden. Das einzuführen ist auch ein wesentliches Ziel der SPD, die alles was bisher illegal war, legalisieren will. Wir sind natürlich dagegen, machen uns aber keine Illusionen, daß wir da groß was durchsetzen können. Das wird der Knackpunkt in nächster Zeit sein.
Die Polizeioberen Schertz und Schenk sehen durch die Öffnung der Stadt eine große Kriminalitätswelle auf Berlin zurollen und fordern deshalb, daß ihnen mehr Mittel und Möglichkeiten - auch für vorbeugende Verbrechensbekämpfung an die Hand gegeben werden. Wie sieht die AL die Entwicklung?
Also, diese zunehmende Kriminalitätswelle halte ich noch für ein Gerücht. Es wird sicherlich im Bereich Kleinkriminalität, wie Diebstahl und Schwarzarbeit eine Erhöhung der Zahlen geben. Aber je mehr Menschen auf einem Haufen zusammenkommen, desto höher ist auch der Prozentsatz der verübten Straftaten im Bagatellbereich. Unsere Linie ist es immer gewesen, die Bagatellkriminalität weitgehend zu entkriminalisieren.
Und wenn große internationale Verbrecherorgansiationen Berlin zu ihrem Stützpunkt ausbauen?
Das halte ich noch für Geschichten aus dem Horrormärchenbuch. Ich bin nicht der Meinung, das sich hier auf einmal das internationale Mafiazentrum niederlassen wird. Die organisierte Kriminalität ist immer als ein Popanz verwendet worden, um, wie etwa beim Terrorismus, irgendwelche Maßnahmen zu legitimieren. Dafür, daß eine reale Gefahr da sein soll, möchte ich erst mal konkrete Anhaltspunkte haben, bevor wir darüber überhaupt weiterreden.
Interview: Plutonia Plarre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen