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Die „Magna Charta der Frauen“

■ Die UNO-Konvention „zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ ist 10 Jahre alt geworden.

Lesen Sie das Kleingedruckte? Ich auch nur ganz selten. Obwohl ich lernen mußte, daß die winzige Schrift in umgekehrtem Verhältnis zu ihrem Inhalt stehen kann.

Nehmen wir folgendes Kleingedruckte: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau im Berufsleben, um ihr auf der Grundlage der Gleichberechtigung von Mann und Frau gleiche Rechte zu gewähren, insbesondere a) das Recht auf Arbeit als unveräußerliches Recht jedes Menschen.“

Dies steht in Artikel 11 des „Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“. Diese internationale Vereinbarung, auch „Frauenkonvention“ genannt, hat insgesamt 30 Artikel, die kleingedruckt - in einer Broschüre des Bundesfamilienministeriums im Dezember 1989 veröffentlicht wurden. Der Anlaß: Die Frauenkonvention wurde zehn Jahre alt. Gut leserlich schreibt die Vorsteherin jenes Ministeriums, Ursula Lehr: „Die Frauenkonvention... ist die Magna Charta der Frauen... (Sie) wurde von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert und stellt damit für uns bindendes Recht dar.“

Alle Unterzeichnerstaaten - inzwischen 99 - müssen in regelmäßigen Abständen vor einem entsprechenden Ausschuß der UNO Rechenschaft darüber ablegen, wie die Umsetzung des Abkommens in ihrem Land vorankommt. Im Januar 1990 war die Bundesrepublik dran. Die Ministerin hatte ihre Schulaufgaben pünktlich gemacht: einen 156seitigen „Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen“.

Der Gesamteindruck: De jure ist bei uns in puncto Gleichberechtigung alles geregelt - nur de facto, da hapert es noch hier und da. Es kommt alles auf die Perspektive an. Vergleichen wir die Errungenschaften mit denen in der „zweiten“ und „dritten“ Welt, dann sind wir wieder mal Spitze. Messen wir die real existierende Gleichberechtigung an dem, was bei uns möglich wäre, kommen wir allerdings nur im Schneckentempo voran. „Falls die Frauen bei der Eroberung der bislang von Männern besetzten Spitzenpositionen des öffentlichen Lebens in der BRD das gleiche Tempo vorlegen wie in den vergangenen zehn Jahren, dürfte es mindestens bis zum Jahre 2230 dauern, bis eine annähernde Parität zwischen Männern und Frauen erreicht ist“, hieß es dazu in der 'Frankfurter Rundschau‘ am 27.1.89.

Die Ministerin sieht das etwas anders. In ihrer Rede vor dem Ausschuß der UNO führte sie aus: „In der Politik sind Frauen unterrepräsentiert ... auch in den Regierungen des Bundes und der Länder ist die Zahl der Frauen noch sehr gering, wenngleich hier eine positive Tendenz unverkennbar ist“. Es kommt eben auf die Interessenlage an; die einen sagen: das Glas ist schon halbvoll - die anderen: das Glas ist immer noch halb leer. Frau Lehr hat es mehr mit den vollen Gläsern. Und sie schüttet da auch alles hinein, auch wenn das Gebräu dann ungenießbar wird. Hier nur ein paar Kostproben:

„Durch das Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 ist die Teilzeitarbeit (insbesondere durch das Gebot der Gleichbehandlung mit der Vollzeitarbeit) aufgewertet worden, bestimmte Formen der Teilzeitarbeit (Arbeit auf Abruf, Job -sharing) sind sozialverträglich ausgestaltet worden ... die Bundesregierung appelliert, Teilzeitarbeit nicht nur Frauen anzubieten und sie auch nicht auf die niedrig qualifizierten Tätigkeiten zu beschränken. Damit soll der Verfestigung einer traditionellen Rollenverteilung in Familie und Beruf entgegengewirkt werden“, heißt es im Bericht. Weiter hinten steht: „Die Frage, ob Teilzeitarbeit den beruflichen Aufstieg in den Führungsebenen verhindert, bleibt offen.“

Teilzeitarbeit - das ist das Konzept zur Zementierung des Rollenverhaltens. Frau wird es wieder einmal ermöglicht, die Doppelbelastung auszuhalten. Teilzeitarbeit als Strategie gegen die Verfestigung der geschlechtlichen Arbeitsteilung anzupreisen - das schlägt auf den Magen!

Die Arbeitgeber haben den Appell anders verstanden: Sie haben neue Arbeitsplätze, oder alte, wenn sie frei wurden, nur noch in Teilzeit vergeben. Das bedeutet weniger Lohn für eine vergleichbar höhere Leistung. 97 Prozent der Teilzeitarbeitsplätze sind Frauenarbeitsplätze (insgesamt machen sie schon gut 14 Prozent der gesamten Arbeitsplätze aus). Das von der Ministerin so gelobte Beschäftigungsförderungsgesetz bewirkt auch, daß 46 Prozent aller Neueinstellungen nur noch befristet vorgenommen werden.

Auch mit der Frauenbildung läßt sich gut renommieren. Über 40 Prozent der Studierenden sind Frauen. Wo aber bleiben diese hochqualifizierten Kräfte im Beruf? Wo sind beispielsweise die Architektinnen, die 40 Prozent aller Studierenden ausmachen, im Beruf dann aber nur auf einen Anteil von 4 Prozent kommen? Vielleicht sind sie ja in der Bundeswehr gelandet, die als „Verbreiterung des Berufsspektrums für Frauen“ gepriesen wird. „Akademikerinnen sind mit einer Arbeitslosenquote von acht bis neun Prozent mehr als doppelt so stark von Arbeitslosigkeit betroffen als ihre männlichen Kollegen“, so eine Arbeitsmarktanalyse der Bundesanstalt für Arbeit vom vergangenen Jahr. Und was ist mit denen, die einen ihrer Qualifikation entsprechenden Beruf ausüben? Anwältinnen zum Beispiel. Immerhin 13 Prozent aller Anwälte sind Frauen. Sie verdienen die Hälfte von dem, was die männlichen Kollegen bekommen.

Einkommensunterschiede, so der Bericht des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, zwischen Männern und Frauen sind nur noch struktureller Art. Es gibt keine Leichtlohngruppen mehr.

Und die Strukturen, die die Einkommensunterschiede verursachen: „Frauen sind auf untersten Funktionsebenen beschäftigt, haben kürzere Wochenarbeitszeit, leisten weniger Überstunden und weniger (höher bezahlte) Schichtarbeit“. Im Hamburger Einzelhandel, so eine Mitteilung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, verdienen Frauen 30 Prozent weniger als Männer. Wer leistet dort die Schwerstarbeit beim Regale-Auffüllen oder an den Kassen?

Aber weltweit - da stehen wir gut da!

-Frauenhandel? Wir haben alles im Griff.

-Gewalt gegen Frauen? Immerhin haben wir fast 200 Frauenhäuser. Wie knapp ihnen das Geld bemessen wird, muß man doch nicht in alle Welt hinausposaunen.

-§ 218? Wo Memmingen liegt, weiß sowieso kein Mensch.

-Und was den Flüchtlingsfrauen hier angetan wird - auch das bleibt unter unserer Decke. Wen in aller Welt interessiert denn schon, „daß wir diese Armut unter den Flüchtlingen bewußt produzieren? Sie resultiert nicht nur aus Unachtsamkeit, ist nicht zufällig, sondern eine politische Maßnahme. Armut als Abschreckung“ - so der Erste Armutsbericht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes von 1989.

Und so bleibt am Schluß die Frage: Wen interessiert eigentlich dieser Bericht, was soll, was kann er bewirken, wenn nur Erfolge gemeldet und die Probleme so verschleiert werden? Und was ist mit dem Kleingedruckten in der Frauenkonvention unter Artikel 11a. „Das Recht auf Arbeit (ist) ein unveräußerliches Recht jedes Menschen?“ Ist das abgelegte, sozialistische Utopie? Vielleicht sollten wir noch etwas hinzufügen: Die Pflicht zur gleichmäßigen Verteilung und Bewertung aller gesellschaftlich notwendigen Arbeit auf Männer und Frauen.

Aber: Lesen Sie das Kleingedruckte?

Christine Weber-Herfort

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