Gorleben freiwillig geräumt

■ Ultimatum der Polizei und psychologische Kriegführung sorgten für Räumumgs-Chaos

Mit einer Überraschung endete gestern die Platzbesetzung an der geplanten Pilotkonditionierungsanlage (PKA) in Gorleben. Nachdem die Polizei die etwa 300 BesetzerInnen am Morgen ultimativ aufgefordert hatte, das Hüttendorf zu räumen, zogen die KernkraftgegnerInnen nach sechs Tagen der Besetzung freiwillig vom Gelände des atomaren Großprojekts. Nur 19 alte Menschen der „Bürgerinitiative 60“ blieben nach Absprache auf dem Gelände zurück. Ihnen stand ein Aufgebot von weit über 600 Beamten aus Bundesgrenzschutz und Polizei gegenüber, das mit Wasserwerfern und Räumungsfahrzeugen ausgerüstet war.

Bereits am Montag mehrten sich die Anzeichen für die bevorstehende Räumung: Polizeiformationen verließen das benachbarte Endlager in Richtung Hüttendorf, weitere Konvois wurden im Umkreis des Landkreises gemeldet. Dienstag gegen 6.00 Uhr früh stellte der Grüne Landtagsabgeordnete Hannes Kempmann eine (auto)telefonische Verbindung vom Hüttendorf zum Poli

zeieinsatzleiter her. „Herr Spitzer, was haben Sie vor mit uns?“ Die Antwort: Räumen, noch bevor das Oberverwaltungsgericht die frisch erteilte Bauerlaubnis wieder aufhebt.

Um 7.30 ergeht das Ultimatum der Poilzei: Wer in zwei Stunden nicht das Gelände geräumt hat, macht sich strafbar. Die DemonstrantInnen sind nicht weiter überrascht. Seit langem hatten sie diese Entwicklung vorhergesehen, hatten über Handlungsmöglichkeiten diskutiert und waren sich einig: „Wir werden den Aufrufen der Polizei nicht folgen. Unser Widerstand ist gewaltfrei, aber sie müssen uns hier wegtragen“, hatte das Hüttenplenum beschlossen.

Doch während der Count-down für das Ultimatum läuft, werden alte Einwände gegen diese Strategie laut. Ob es nicht besser sei, der gewaltigen Übermacht ein Schnippchen zu schlagen und das Feld freiwillig zu räumen. „Dann sieht die gesamte Öffentlichkeit, wie lächerlich dieser Apparat ist“, heißt es. Dem stehen Einwände gegenüber: Er

stens gebe es einen Plenums beschluß zum Verhalten bei Räumung, zweitens habe man nicht sechs Tage lang den Platz besetzt, um ihn dann freiwillig an die Polizei abzutreten.

Eine heftige Diskussion entbrannte unter den HüttenbewohnerInnen, während die Polizei durch Hubschrauber -Staffeln und Lautsprecherdurchsagen die Verständigung massiv behinderte. Minutenlang schreien sich die AKW -GegnerInnen an, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Jetzt gibt es plötzlich zwei Lager, und alle wissen: Das ist das Schlimmste, was in dieser Situation geschehen kann.

Die Entscheidung, den Bau

platz vor Ablauf des Ultimatums zu verlassen, fällt nicht mehr im Plenum: Die ersten haben sich schon zum Abzug formiert, da diskutieren die anderen noch. Der geordnet -planlose Rückzug läßt viele AktivistInnen verbittert zurück. „Allen Beteiligten war klar, daß die Polizei hier räumen würde. Wenn die jetzt kalte Füße kriegen, warum machen sie dann in der Vorbereitung so eine Show?“

Gegen 13.00 Uhr wurden gestern die 19 Alten der Initiative 60 von der Polizei vom Platz getragen. Bauarbeiter haben mit den Rodungsarbeiten begonnen, ein Zaun aus Nato-Draht sichert jetzt das Gelände. Markus Daschne