DIEBSTAHL VON LIEBE UND ZEIT

■ Zwei Kurzopern im RA.M.M./ZATA-Theater

Eine Briefträgerin stiehlt die Liebe. Sie hockt auf einem Berg gestörter Telefone und berauscht sich singend an fremden Liebesbriefen. Vergeblich warten derweil die Liebenden, ein arbeitsloser Akademiker und eine chromatische Circe, auf Nachricht.

In der Kurzoper mit Tanz Die Welt und die Welt ist das Netz der Kommunikation endgültig zusammengebrochen. In dem leider nur schwer verständlichen Libretto von Enno P.Gramberg wird auf eine Geschichte verwiesen, in der der Briefträger, statt für den reibungslosen Ablauf der Botschaften zu sorgen, zum Saboteur jeglicher Verständigung wird. Die Verordnungen des Postwesens, von der Briefträgerin laut deklamiert, verkommen zur Geräuschkulisse hinter den herausgeschleuderten und von der wildtrudelnden Solo-Posaune hochgeputschten Wortfetzen der Liebenden.

Doch gleichzeitig existiert noch eine andere Version der Geschichte auf der Bühne in dem kalten und mechanischen Ritual der Tänzerin und des Tänzers. Zwischen ihren gespannten Körpern kommt keine Berührung zustande; sie ziehen sich an und stoßen sich ab wie magnetische Kugeln. In der Bemühung um Annäherung synchronisieren sie ihre Bewegungen: doch diese Gleichheit läßt sie nur wie zwei Parallelen unendlich nebeneinanderherlaufen. Sie spielen ein Ritual nach, dessen Sinn abhanden gekommen ist. Der Briefträger wird so zu einem fiktionalen Täter und eigentlichen Opfer, das sie sich erdacht haben, um sich nicht die eigene Unfähigkeit zur Empfindung eingestehen zu müssen.

Die Verbindung von Tanz und Libretto machen es möglich, daß der Stoff doppeldeutig bleibt. Die Sänger stecken mit ihren aufrechten und statischen Körpern einen Rahmen ab, der die Bewegungen der Tänzer eingrenzt. Das elektronische Rauschen, das sich in der Musik von Rolf Baumgart zwischen die Akteure schiebt, ist wie ein alles verschluckendes Nichts, in dem jedes menschliche Wort zu indifferentem Brei wird. Es setzt der Energie der Tänzer keinen Widerstand entgegen: Sie selbst bestimmen ihren Rhythmus und verfallen in dieser Freiheit doch der Regelmäßigkeit des Maschinentakts. Die Stimmen der Sänger wirken dagegen wie anachronistische Relikte aus einer Zeit, in der es noch Individuen gab.

Auch in der zweiten Kurzoper Der Plan des Planeten, für die Baumgart wieder die Musik und Dieter Siegel den Text schrieb, entsteht die Spannung aus der Differenz der elektronischen Kulisse, in der Originaltonaufnahmen des großstädtischen Verkehrs erkennbar bleiben, und der einzelnen Sopranstimme von Elizabeth Neiman.

Mit aufgelöstem, lang wallendem Haar, in historischem Kostüm, kniend vor Erschöpfung, schmerzlich flehend in ihrem Gesang, zitiert sie die klassischen Muster tragischer Rollen: Je größer ihre Angst, Verwirrung und Leid, desto mehr hebt ihre Stimme schon ins Jenseits ab. Gegen ihre unmeßbaren Emotionen stehen die präzise bemessenen Bewegungen der Tänzerin Sonja Romeis. Sie sucht Richtungen, steuert Ziele an, überwindet Distanzen. Beide erzählen vom Nicht-Ankommen und von der Unzuverlässigkeit der Wahrnehmung, die das zu Erreichende in plötzliche Nähe oder unverständliche Ferne rückt. Denn auch die exakt angetriebene Tänzerin läuft letztendlich immer ins Leere und kehrt ständig zu ihrem Ausgangspunkt zurück.

In beiden an literarischen Vorlagen orientierten Kurzopern wird nicht mehr chronologisch erzählt, sondern nur noch der Kern einer vorausgesetzten Geschichte im Klangbild entfaltet. Statt der opernüblichen folkloristischen Balletteinlage hat der Tanz hier eine neue Funktion in der widersprüchlichen Interpretation gewonnen. Durch die Ausschöpfung von gattungsimmanenten Vorbedeutungen und die je eigenen Bezugsrahmen von Musik und Tanz gelingt so ein komplexes, wenn manchmal auch mit Videoaufnahmen unnötig vollgestopftes Bild.

Katrin Bettina Müller

„Die Welt und die Welt“ und „Der Plan des Planeten“ von der Gruppe Di'Miro/M.A.R.A.M. im RA.M.M./ZATA-Theater, heute um 20.30 Uhr letzte Vorstellung