: „Da kommt deine Mutter“
■ Erinnerungen der Partisanin Antonina Kondraschowa
Wie oft ist es so gewesen: Wir liegen im Hinterhalt und sehen, da kommen Frauen und hinter ihnen die Faschisten. Sie kommen näher, und jetzt siehst du, dort kommt deine Mutter. Das Schlimmste daran ist, daß der Kommandant gleich „Feuer“ ruft. Alle graust es vor diesem Kommando, weil der eine flüstert: „Da ist meine Mutter“, ein anderer: „Da ist meine kleine Schwester“ und ein dritter hat sein eigenes Kind erkannt... Meine Mutter trug immer ein weißes Kopftuch. Sie war hochgewachsen, sie wurde immer als erste erkannt. Ich hab‘ sie noch nicht erblickt, da sagt mir schon einer: „Da kommt deine Mutter...“ Wenn dann das Kommando kommt, schieße ich. Und weiß selbst nicht, wohin ich schieße, habe nur das eine im Kopf: Das weiße Tüchlein nicht aus den Augen zu verlieren. Alle suchen Deckung, werfen sich zu Boden, und ich weiß nicht, ob Mutter getroffen wurde. Für zwei Tage oder länger bleibt die Welt für mich schwarz, bis Verbindungsleute aus der Siedlung kommen und berichten, daß sie lebt. Dann läßt sich das Dasein wieder ertragen. Aber nur bis zum nächsten Mal...
Aus: Swetlana Aleijewitsch: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen