: „Ich kann daran nichts Böses finden“
Otto Schily (SPD) hält überhaupt nichts von Askese der West-PolitikerInnen im DDR-Wahlkampf / Runder Tisch eine „Krücke“ - sein Votum belanglos ■ I N T E R V I E W
taz: Herr Schily, der Runde Tisch der DDR hat letzte Woche mehrheitlich beschlossen, daß Politiker aus der Bunderepublik nicht im DDR-Wahlkampf auftreten sollen. Wie verhält sich der SPD-Politiker Schily dazu?
Schily: Ich denke, der Beschluß des Runden Tisches kann nur den Charakter einer Empfehlung haben. Ich persönlich halte auch nichts davon, mich in Askese zu üben und dort nicht aufzutreten. Der Beschluß des Runden Tisches geht an den Realitäten vorbei. Allein über die Medien und vor allem das Fernsehen findet ohnehin Wahlkampf in der DDR statt. Die Bundesrepublik und die DDR beeinflussen sich gegenseitig, daran ist nicht einfach vorbeizugehen.
Lange Zeit war der Runde Tisch das demokratische Gremium, auf das sich gerade die Politiker in der Bundesrepublik immer bezogen haben. Jetzt plötzlich will man dessen Votum nicht mehr hören.
Das ist doch kein Beschlußgremium. Das ist eine Krücke, um in der Zwischenzeit zurechtzukommen, in der es kein politisch legitimiertes Beschlußorgan gibt. Ich glaube, es wäre von den Menschen zuviel verlangt, wenn sich jetzt der eine in Zurückhaltung übt und der andere, der etwas frecher ist, den Vorgriff hat. Im übrigen ist es wirklich besser, wenn die DDR-BewohnerInnen sich unmittelbar ein Bild machen können von den Politikern. Es ist besser, wenn sie ihnen Fragen stellen und mit ihnen diskutieren können, als wenn sie die nur übers Fernsehen erleben.
Aber die Menschen in der DDR sollen doch gar nicht Otto Schily, Willy Brandt oder Helmut Kohl wählen. Die müssen doch ihre eigenen Politiker wählen.
Aber Entschuldigung! Auch hier im Wahlkampf in der Bundesrepublik treten in zunehmenden Maße befreundete Politiker und Politkerinnen aus anderen Länder auf...
Ach ja?
Jawohl. Hin und wieder. Das hat sich in letzter Zeit verstärkt, und das finde ich auch gar nicht schlimm. Warum sollte eine Abschottung stattfinden? Ich glaube, daß der Beschluß aus einer gewissen Ängstlichkeit entstanden ist, für die ich sogar Verständnis habe. Aber genausowenig, wie man an der Realität vorbeigehen kann, daß es einen Zug gibt in Richtung staatliche Einheit, genausowenig wird man verhindern können, daß sich Ost und West gegenseitig beeinflussen. Ich glaube, es kommt ein bißchen darauf an, wie das getan wird. Wenn Politiker und Politikerinnen sich wie Vormünder oder Nachhilfelehrer aufführen würden, hätte das einen fatalen Charakter. Aber wenn es ein Diskussionsbeitrag ist, sehe ich darin nichts Böses.
Der DDR-Wahlkampf wird zur Zeit in erster Linie mit den Zugpferden aus dem Westen gemacht. Warum überläßt man das nicht den Parteien und Kandidaten, die sich dort auch wirklich zur Wahl stellen?
Das hat einen ganz einfachen Grund, genau wie bei uns. Auch bei uns müssen die Zugpferde manchmal sogar im Kommunalwahlkampf auftreten. Da könnte man auch sagen, es wäre eigentlich vernünftiger, daß die dortigen Lokalpolitiker stärker in Erscheinung treten...
Aber noch ist die DDR doch wohl kein Bundesland der Bundesrepublik.
Wird sie aber werden. Sie wird zwar nicht als DDR ein Bundesland werden. Aber ich finde, daß die alten Länder sich dort wieder neu konstituieren sollten und daß sie Bundesländer werden mit einem anderen Status. Es wäre ein müßiges Gedankenspiel, sich vorzustellen: wie wäre eine DDR, die eine künstliche, unsichtbare Grenze zieht für Politiker aus der Bundesrepublik. Wie soll das funktionieren? Mit Verlaub gesagt: Auch die taz nimmt ja am Wahlkampf teil, weil sie ja auch Verbreitung in der DDR sucht, was ich sehr begrüße.
Wann also tritt Otto Schily zum ersten Mal im DDR-Wahlkampf auf?
Wir werden sehen, ob ich das überhaupt tue. Das hängt von meinen sonstigen Verpflichtungen ab.
Interview: Vera Gaserow
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