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Die sich selbst tötende Männergesellschaft

■ „Die Wache“ des Leningrader Regisseurs Aleksandr Rogoshkin

Wacheschieben heißt vor allem Wiederholung und Eintönigkeit. Und das besonders auf einem tagelangen Gefangenentransport quer durch die Sowjetunion: wiederholtes Ab- und Aufladen der Gefangenen, dieselben Abzählreime eins, zwei, drei, vier, dieselben Kommandos, dasselbe Hinunterbeten der Vorschriften, dieselben Kontrollgänge, dieselben Spielchen zwischen dem Wachpersonal der jungen Soldaten, dieselben Schikanen untereinander: und all das innerhalb des engen, graugrünen Schachts eines vergitterten Zugkorridors und in dem viel zu kleinen Abteil für die Gruppe der Gefreiten. Daran ändert auch der Blick auf die gleichförmige, verschneite Landschaft nicht viel.

Kein Wunder also, daß es zu Spannungen kommt und sich die gezügelte Aggression, die sich nur in wenigen Fällen gegen die Gefangenen richtet, schließlich in gegenseitiger Demütigung entlädt: die Männer beleidigen und prügeln einander, scheißen exakt dort hin, wo einer gerade aufgewischt hatte, suchen sich einen aus, auf den sie einschlagen bis er seine Frau eine Hure nennt.

So kommt es schließlich zum Umschlag: katalysiert durch eine mitreisende Prostituierte und durch eingeladenen und kräftig konsumierten Alkohol kippt die letzte Wachschicht in eine nicht rückgängig zu machende Katastrophe um. Der ewig geprügelte Soldat untersten Dienstgrades zieht, weil man ihn zwingen will, den verweigerten, umgekippten Wein vom Boden aufzulecken, schließlich die Pistole und knallt alle ab. Die Gefangenen schreien höhnisch aus den Zellen, was so einem blüht: die Todeszelle.

Von da ab weiß man nicht mehr, ob es Traum ist oder reales Erleben, was jetzt im Film noch folgt: plötzlich ist man nicht mehr im Zug, sondern in einer riesigen Sauna, die selbst einem Zugabteil gleicht; der Soldat, der sich, auf der Flucht, zunächst in Zivilkleidung geworfen hat, trägt dann doch wieder einen Militärmantel, versteckt sich in einem Keller, hat eine merkwürdige Begegnung mit einem Blinden; Gitter legen sich vor die Ausgänge des unterirdischen Schachtes, aus dem er zu entkommen sucht, als ihn von oben eine Kugel erreicht...

Die Worte des Fähnrichs tönen nach: wir haben die Geschichte vervielfacht und nur die Trauer wiederholt. Leider ist der Regisseur Aleksandr Rogoschkin nicht bei dem konkreten Graugrün geblieben, sondern hat gegen Ende immer mehr ins Metaphysische übergeblendet.

Michaela Ott

Karaul (Die Wache), Regie: Aleksandr Rogoschkin, mit: Aleksej Buldakow, Sergej Kuprianov, Aleksej Mozrun, UdSSR 1989, 96 Min.

13.2. Urania, Humboldt-Saal 18.30 Uhr

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