piwik no script img

Immer feste druff-betr.: "Das neue Elend der Intellektuellen" von Monika Maron, taz vom 9.2.90

betr.: „Das neue Elend der Intellektuellen“ von Monika Maron, taz vom 9.2.90

Mit Empörung mußte ich zur Kenntnis nehmen, daß Herr Stefan Heym wenigstens 3.000 DM für die veröffentlichte Denunzierung der Kauflust seiner Landsleute kassiert hat. Wo ist das Geld? Geben Sie das sofort wieder her, Herr Heym, Sie! Wir fordern die ideelle und materielle Wiedergutmachung an Tausenden unschuldiger Kaufrauschopfer. Denn was du im Geringsten denen angetan, die mit mir einig sind... soviel kann gar nicht gekaufrauscht werden, wie 40 Jahre lang veropfert wurde.

Ich freue mich auf die Zeit, in der im Streit um Geld nicht mehr der eine Intelligdingsda für die Schulterschlußsehnsüchte des anderen herhalten muß. Ich freue mich, mit denen uneinig zu sein, von denen ich nicht zehre: den verhinderten Arbeitslosen in öffentlichrechthaberischen Schwatzbuden. Bis dahin: Immer feste druff, Frau Maron. Beweisen Sie, daß Sie auf der richtigen Seite der Utopie stehen. Und Millionen Pralines können nicht lügen.

Andre Meyerhold, Berlin

Monika Marons Kritik an den Linken hat ohne Zweifel etwas Bestechendes, es scheint gar keine andere Sicht mehr denkbar, man fühlt sich ertappt und gezwungen, Abschied zu nehmen vom Brachland DDR, auch vom intellektuellen Brachland.

Und doch ist Widerspruch angebracht. Ich greife zwei mir wesentlich erscheinende Aspekte heraus:

Das Volk, das die DichterInnen enttäuscht habe, sei eigentlich das Volk der Flüchtlinge, die nichts anderes interessiere als die Verwirklichung profaner Träume für ein besseres Leben. Was Maron kritisiert, die elitäre Sicht von Satten, den Abstand zwischen Volk und Intellektuellen, denen ihr Experiment genommen wird, was hier moralisch so sehr überzeugt, es ist am Ende aber die Absage an die Rolle von Intellektuellen überhaupt, es ist damit die Absage an Kritik und kritische Reflexion.

Daß sich die Menschen in der DDR in ihrer sichtlichen Mehrheit heute für schnelle Angleichungen an die Bundesrepublik aussprechen, weil sie sich davon die Überwindung alltäglichen Mangels und die legitime Teilhabe am Wohlstand ihrer deutschen Brüder und Schwestern versprechen, ist vermutlich nicht wirklich der gemeinte Gegenstand von Opposition hüben und drüben, sondern es ist die intellektuelle und moralische Pflicht, auf die Kosten hinzuweisen, die dieser Wohlstand bedeutet und in der Vereinigung mit der DDR weiterhin und vermehrt bedeuten wird, ohne daß glaubwürdige Elemente jener sozialen Gerechtigkeit schon in Sicht wären.

Welche Gerechtigkeit im übrigen. Nicht nur die Prognose einer beträchtlichen Zahl von zukünftigen Arbeitslosen in der heutigen DDR steht zur Debatte, auch die internationale Gerechtigkeit bleibt auf der Tagesordnung, die zu erreichen und zu fordern zwar das selbstverständliche Geschäft von DemokratInnen ist, von SozialistInnen allenthalben, aber eben die wissen auch, daß das internationale Kapital ohne Nord-Süd-Gefälle, ohne Arbeitslosigkeit, ohne soziale Armut und ohne Waffengeschäfte seine Wachstumsraten nicht sichern kann. Das fortschrittliche Credo einer nicht wachstumsorientierten ökologischen Weltwirtschaft ist für die privaten KapitalbesitzerInnen nach wie vor ein Versuch, die Quadratur des Kreises zu lösen.

Der Streit um Utopien, auf den sich Monika Maron freut, muß ein Streit um konkrete Utopien sein, die aber entscheiden sich immer noch an der Eigentumsfrage, mit anderen Worten, sie sind mit dem Kapital nicht zu machen. Sicherlich, es berechtigt niemanden dazu, sich ein Volk, ein Territorium, das aus längst vergangenen Tagen stammt, zum Objekt seiner Träume und Experimente zu machen, aber Enttäuschung, die ja eigentlich Kritik ist, an einer billigen Verschacherung dieses Landes und seiner Menschen, deren Selbstaufgabe nicht Selbstbestimmung - ist ebenso legitim wie der Wunsch nach Südfrüchten oder komfortableren Automobilen. Es ist die Kritik von Menschen, die glaubten, eine Revolution habe begonnen, und sie müssen nun feststellen, daß es sich kaum um eine solche handelt. Dafür mögen sie kritisiert werden, daß sie die Bewegung in ihrer Qualität unterschätzt haben, aber der Gestus der Häme ob der beleidigten DichterInnen zielt daran ziemlich vorbei.

Die Frage der Revolution wird auf der Tagesordnung bleiben, ohne Zweifel nicht weniger schwierig als vor der großen Wende, nur daß statt Stalins Politbüroschatten nun die ManagerInnen der United Fruit Company und der Aufsichsrat von Daimler-Messerschmidt Bölkow-Blohm ihren Erfolg zu verhindern suchen, wobei ihre Methoden und ihre Logistik in Zukunft noch weniger Widerstand zu fürchten haben.

Christian Pieta, Berlin

Ich gestehe Dir alle ehrenwerten Absichten in Deiner Wertung der Lage zu; ich sehe, daß Du mitfühlst mit den einfachen Leuten (aus der DDR). Nur finde ich Deine Schlußfolgerungen falsch.

Ich stamme von einfachen Menschen ab, und ich habe durch meinen Beruf ständig Kontakt zu den Denk- und Handlungsweisen dieser Leute. Auch meine Sympathie ist erst einmal auf ihrer Seite, das heißt ich gebe einen Großteil meiner Kraft dafür, ihnen zu helfen, ihre Erkenntnisse über die verschiedensten Vorgänge in unserer Welt zu vermehren, damit sie sich aus der Spielballrolle im Geschäft der Mächtigen befreien können. Aber in einer Demokratie zählt jeder Mensch/Geist eine Stimme, und da wird ein dumpfer Geist im Körper eines einfachen Menschen zumindest zu meinem/r GegnerIn. Wissen muß man sich erarbeiten, und wer nicht an sich arbeiten will, ist mein/e FreundIn nicht!

Der Spruch: „Wir sind ein Volk!“ ist so etwas von hinter der Zeit, daß auch das vielbestaunte DDR-Tempo keine Besserung bringen wird. Volksgelüste sind aus islamischen Hälsen genauso out wie aus lettischen oder deutschen Mäulern. Mit dem weltweit nun endgültig akkreditierten „Konsumrausch um jeden Preis“ wird in einer erstaunlichen Kontinuität und Ungestörtheit so langsam jede unserer Lebensgrundlagen (Liebe, Luft, Wasser, Erde) vernichtet.

Und da soll ich jubeln, wenn konsumgeile DDRlerInnen bei uns einfallen und mit uns vereinigt werden wollen? Nein danke! Ich denke, wir haben mit unserer eigenen Kaputtheit (gedankenloser Konsum, acht Jahre Kohl, etc.) genug zu tun. Macht euren eigenen Laden auf! Knete sollt ihr kriegen, aber um eure kaputten Rückgrate kümmert euch erst mal selbst.

B.Düerkop, Wedemark

Stefan Heym ist seine Kritik der DDR-Massen beim „Schlangestehen um das Almosen Begrüßungsgeld“ oder bei der „Jagd nach dem glitzernden Tinnef bei Bilka/Hertie“ teuer zu stehen gekommen. Das Volk von seinem Sockel zerrend, hatte er eine „Horde von Wütigen“ wiedererkannt. Noch Monate nach seiner Kritik im 'Spiegel‘ wird ihm dafür der Prozeß gemacht: vom Volk in anonymen Beschimpfungen, von seiner Kollegin Maron in der taz. Was hat er getan, beziehungsweise was hat es mit dem Volk und seinen Anwälten a la Maron auf sich?

Angefangen hatte alles mit einem Wortwechsel. War es zunächst eine mächtige Minderheit, die den UnterdrückerInnen auf der Straße den bestimmten Artikel „Wir sind das Volk“ entgegenrief, selbstbewußt und voll Stolz, so wurde die Parole alsbald aufgeblasen zu „Wir sind ein Volk“. Das Elend der deutschen Geschichte trat auf, wurde zur Mehrheit, vertrieb die Minderheit.

Machte sich breit und ließ sich krönen, Störenfriede wurden dingfest gemacht, Stefan Heym bis heute. Vom „Reich“ ist die Rede nicht mehr, aber scheinbar unbefleckt schreitet nun ein Volk daher. Läßt hinter sich die Realität einer Bevölkerung mit den Erfahrungen von zwei Diktaturen, die sich jahrzehntelang hatte knebeln lassen, um dann mit Massenwanderungen und ein paar Straßenspaziergängen sich ihrer zu entledigen. Da bricht auf und fügt sich zusammen, was Schrecken genug verbreitet hat.

Das Geschrei nach Einheit tönt wie der aktuelle Hit einer jahrhundertealten germanischen Arie. Der historische Mangel Deutschlands liegt bloß. Die Masse derer, die sich jahrzehntelang mit den UnterdrückerInnen identifiziert hatte, wird in den Adelsstand von Revolution und Volk erhoben.

Ein Volk steht auf und legt ohne Umschweife seine Mitgliedsbedingung offen, inklusive wer des Deutschtums unwürdig ist: AusländerInnenhaß (Frau Maron nennt das „Angst vor Ausländern“).

Worum es eigentlich gehe, sei „das profane Ziel eines besseren Lebens“ - wenn es nur dies wäre.

Angereichert mit historisch ausgewiesenen Nationalphantansien wird der Weg dorthin zur Flucht vor der eigenen (Mit-)Verantwortung am Desaster, vor Mitschuld und Angst.

Die Mehrheit ist ein Volk und macht das Volk zur Minderheit - Frau Maron kennt nur noch ersteres. Politische Minderheitskonzepte, die der Mehrheit zuwiderlaufen, opferten, so Frau Maron, bewußt das bessere Leben derselben und degradierten sie zum Objekt einer Idee. Es sind die ersten Denkverbote, die der aufsteigende Nationalwahn ausspuckt.

Das Ideal der geeinten deutschen Nation wird zum Stern über der DDR-Misere, dem alles nachrennt. Seine Blendkraft verheißt das Heil, macht die rasende Dynamik des Prozesses aus. Solcher Rückfall ins vergangene Jahrhundert macht besorgt. Zivile Tugenden wie Toleranz und Selbstironie sind gefragt.

Johannes Winter, Rosbach

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen