Ein Opfer politischer Opportunität

Vor einem Jahr rief Chomeini zum Mord an Salman Rushdie auf  ■ G A S T K O M M E N T A R

Es gehört allmählich zum Ritual der Teheraner Mullahs bei den feierlichen Anlässen das von Ayatollah Chomeini gegen Saiman Rushdie verhängte Todesurteil zu wiederholen - quasi als Huldigung des verstorbenen Imam.

Anläßlich des elften Jahrestages der islamischen Revolution bestätigte noch einmal der neue Revolutionsführer Said Ali Chamenei den berüchtigten Mordbefehl. Die Drohung aus dem Munde des neuen Imam dürfte indessen die Öffentlichkeit nicht mehr erschrecken als das Brüllen der Goldwyn-Meyer -Löwen auf der Leinwand das Kinopublikum. Inzwischen weiß man in der Welt der Christenheit, daß auch bei den „Mohammedanern“ nichts so heiß gegessen wie gekocht wird.

Im Islam soll sich zwar die Politik nach der Religion richten, doch stets war es umgekehrt. Fast alle hingerichteten Apostaten in der islamischen Geschichte waren politische Gegner der jeweiligen Macht. Rushdie war zwar kein politischer Opponent des Ayatollah Chomeini, doch ein Opfer der politischen Opportunität: Die Ungeheuerlichkeit des Mordbefehls sollte den Gläubigen von der iranischen Niederlage im Golfkrieg, die persönliche Schmach des Ayatollahs, ablenken, auf daß die schiitischen Zeloten zu ihrem Führer erneut stolz aufblicken zu können.

Die neuen Herren in Teheran, geplagt von innerem Zank und Zwist, haben zur Zeit wohl andere Sorgen, als dem indischen Abtrünnigen nachzujagen oder furchtsame westliche Verleger zu erschrecken. Dies bedeutet aber keineswegs, daß Salman Rushdie sein Versteck verlassen kann. Jener Geist, den der Ayatollah Chomeini im fernen England ins Leben rief, bleibt weiterhin virulent, denn er schöpft seine Radikalität aus der britischen Gesellschaft selbst, wo die muslimischen Minderheiten bekanntlich seit langem politisch, kulturell und wirtschaftlich auf sträfliche Weise diskriminiert werden.

Ahmad Taheri

Der Autor ist iranischer Journalist und lebt in Frankfurt