: Reichstagsrunde ohne PDS
Wie eine „Reichstags-Runde“ nach einer gesamtdeutschen Wahl mutete die anderthalbstündige Diskussion Richtung Deutschland im ZDF an, zu der Klaus Bresser geladen hatte. Doch ob alle vertretenen Parteien nach den nächsten Wahlen auch Parlamentsparteien sind, ist nicht gewiß - und so war denn Wahlkampf angesagt um 22.10 Uhr. Entsprechend Wortwahl und Diktion der Anwesenden.
Schnell wandelte sich das würdige Politiker-Pathos der ersten Minuten in wendige Wahlparolen: Da kofferte Seiters Antje Vollmer an („Über Ihre Position sind die DDR-Bürger doch schon längst hinweggegangen...“), da fiel Vogel über Seiters her („Bleiben Sie doch bei der Wahrheit...“), da lobte Seiters seinen Kanzler über den grünen Klee, da lagen sich Lambsdorff und Ibrahim Böhme in den Haaren, da schielte Stoiber mit seiner kaum verbrämten Anschluß-Ideologie auf die Rechtswähler diesseits und jenseits der Elbe.
Neben den Wahlkampf-Phrasen dominierten die Plattheiten: „Eine Operation ist immer mit Schmerzen verbunden“, hieß es da, ständig mußte etwas „ganz deutlich zum Ausdruck gebracht werden“, „Zeichen für unsere Menschen“ wurden beschworen. Schließlich sogar sollten sich alle „unter dem Dach des Grundgesetzes versammeln und darauf aufbauen“ - bei dieser Bauweise wäre eine solche Konstruktion sicherlich eine Gefahr für die Nachbarn.
Gesprächsleiter Klaus Bresser hatte das verloren, was die DDR verlieren soll: die Souveränität. Er verwechselte Namen und Parteien und wurde an manchen Stellen mit der wahlkämpferischen Erregung kaum fertig. Hauptvorwurf aber: Er sah absolut nicht darauf, daß seine Fragen auch beantwortet wurden und ließ das Gespräch laufen - so daß es sich nach dem Motto „auf jede Frage keine Antwort“ entwickeln konnte.
Typisch für Runden dieser Art: Lediglich eine Frau war dabei - Antje Vollmer. Ihre nachdenklichen Aussagen allerdings wurden fast einhellig vom Tisch gewischt. Dabei sind ihre warnenden Worte über die Goldrauschstimmung in bezug auf Profitmöglichkeiten für die Volksbewegung durchaus ernstzunehmen.
Doch in dieser Runde wurde so sehr hinter einer Schimäre namens „soziale Marktwirtschaft“ hergejagt, daß für Nachdenklichkeit kein Platz blieb. Wahrscheinlich hätte es gutgetan, wenn ein veritabler DDR-Sozialist mit am Tisch gewesen wäre, der von der Ökonomie her diese Marktwirtschaft hätte kritisieren können. Und als nach- wie vorsichtige Kraft (wie auch immer sie bewertet wird) hätte die PDS gerade in dieser Beziehung wohl einiges zu sagen gehabt und sich sicherlich auch einige Fragen gefallen lassen müssen.
Manfred Kellner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen