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Wachsender Unmut in der EG über Israel

Das Europäische Parlament rügte Israel wegen der Verletzung von Handelsvereinbarungen zum Nachteil der Palästinenser in den besetzten Gebieten / Die diskriminierenden Maßnahmen israelischer Behörden gegen palästinensische Exporteure sollen im Auftrag der EG untersucht werden / Eventuell Androhung von Wirtschaftssanktionen  ■  Von Christian Sterzing

Die Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Israel basieren auf einem Abkommen aus dem Jahre 1975, mit dem die wechselseitige Aufhebung von Handelshemmnissen und der Abschluß von Kooperationsverträgen vereinbart wurden. Seit Anfang 1989 wurde im Industriebereich zwischen Israel und EG praktisch eine Freihandelszone geschaffen. Nachdem die EG ab 1977 für israelische Industrieprodukte den freien Zugang zu ihrem Markt ermöglicht hatte, wurden ab 1.Januar 1989 auch die letzten verbliebenen Zölle Israels gegenüber industriellen Importen aus der Gemeinschaft aufgehoben. Bei Agrarprodukten gewährt die Gemeinschaft Israel Zollerleichterungen für fast alle Exporte. Israel ist damit praktisch als einziger Drittstaat in die Binnenmarktstrukturen der EG eingebunden.

Aufgrund dieser Bedingungen wurde die EG in den letzten Jahren wichtigster Handelspartner Israels: Mehr als 50 Prozent der Gesamteinfuhren dieses Landes kommen aus der EG; etwa 30 Prozent der israelischen Gesamtexporte werden vom europäischen Markt aufgenommen. Der Anteil an den Industrieerzeugnissen ist auf fast 70 Prozent der israelischen Gesamtexporte in die EG gewachsen. Die Agrarexporte wurden zwar diversifiziert, doch blieb ihr Umfang im wesentlichen unverändert. Allerdings hat sich die israelische Handelsbilanz gegenüber der Gemeinschaft insgesamt nicht vorteilhaft entwickelt. Sie ist durch ein zunehmendes Defizit gekennzeichnet, das sich in den letzten Jahren ständig erhöht hat. Aus israelischer Sicht gibt diese Entwicklung Anlaß zur Sorge.

In den letzten Jahren wurden die Beziehungen zwischen der EG und Israel vor allen Dingen von den Auswirkungen der EG -Erweiterung auf Israels Agrarexporte und vom Problem des Wettbewerbs mit Spanien beherrscht. In einer im Dezember 1987 unterzeichneten Vereinbarung wurde Israel zugesichert, daß eine Abschaffung noch bestehender Zollhindernisse für Israel zur selben Zeit wie für Spanien und Portugal angestrebt werde.

Im Dezember 1987 wurden Protokolle zur Frage der europäisch -israelischen Zusammenarbeit unterzeichnet, die jedoch infolge der institutionellen Reform der EG erst nach Billigung durch das Europäische Parlament hätten in Kraft treten können. Nach einer aufsehenerregenden Debatte im März 1988 verweigerte das Europäische Parlament mehrheitlich seine Zustimmung. Hintergrund dieser Entscheidung war zum einen der institutionelle Dauerkonflikt zwischen Europäischem Parlament und Europäischer Kommission: Das Parlament wollte nach dem Erwerb neuer Kompetenzen durch die einheitliche europäische Akte gegenüber der Kommission die Muskeln spielen lassen, um nicht länger nur als willfähriges Akklamationsinstrument betrachtet zu werden.

Ein weiterer wesentlicher Grund für die negative Entscheidung war jedoch der Ausbruch der Intifada in den besetzten Gebieten: Angesichts der andauernden Menschenrechtsverletzungen durch Israel sah sich das Parlament außerstande, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Es forderte eine Verbesserung der Menschenrechtssituation für die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten und - in Übereinstimmung mit entsprechenden Beschlüssen des Europäischen Rates - eine konkrete Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Palästinenser, denen der Zugang zum europäischen Markt erleichtert werden sollte. Die Kommission sah sich daraufhin gezwungen, in erneute Verhandlungen mit Israel zu treten und die vereinbarten Protokolle „nachzubessern“.

Insbesondere der Ausschuß für Außenwirtschaftsbeziehungen beschäftigte sich sehr intensiv mit den Israel-Protokollen und empfahl dem Parlament die Zustimmung erst, nachdem von Israel zugesichert wurde, daß der Export von Erzeugnissen aus den besetzten Gebieten nicht behindert werde. Erst im Oktober 1988 wurden die Protokolle vom Parlament gebilligt.

Aufgrund vertraulicher Informationen aus Kreisen der Kommission in Brüssel waren im Herbst 1989 erhebliche Probleme bei der praktischen Umsetzung dieser Protokolle bekannt geworden. Im Wirtschaftsjahr 1988/89 beliefen sich die Gesamtausfuhren aus den besetzten Gebieten in die EG lediglich auf 1.100 Tonnen Grapefruit und 500 Tonnen Orangen aus dem Gaza-Streifen sowie 89 Tonnen Auberginen aus der Westbank. Die Verluste der palästinensischen Exporteure wurden auf circa 200.000 DM geschätzt. Damit hatte der Umfang der Agrarexporte aus den besetzten Gebieten nicht im entferntesten das erhoffte Ziel erreicht.

Während die unbefriedigenden Ergebnisse offiziell auf schlechtes Wetter, zahlreiche Streiks, Ausgangssperren, unzureichende Absatzmöglichkeiten und schlechte Verkehrsverbindungen zurückgeführt wurden, ließ sich nicht verheimlichen, daß Israel offensichtlich vieles unternahm, um den Export palästinensischer Agrarprodukte zu verhindern.

In den Berichten der Kommission war zu lesen, daß circa 20 Prozent der Waren durch israelische Sicherheitskontrollen vernichtet wurden. Weiterhin macht Israel - entgegen den Zusicherungen - die Exporte von Genehmigungen abhängig, die jedoch sehr willkürlich erteilt werden. Trotz rechtzeitiger Antragstellung hatten viele Obst- und Gemüsekooperativen im Gaza-Streifen zum Beispiel keine Exportgenehmigungen erhalten, oder sie wurden erst von den israelischen Behörden erteilt, als die Ernte bereits verrottet war. Israel erhebt außerdem noch immer - entgegen den Zusicherungen - Steuern und Abgaben auf palästinensische Exporte.

Aber nicht nur im Exportbereich gab es Anlaß zu Klagen. Es wurde gleichzeitig bekannt, daß die im Rahmen europäischer Hilfsprogramme in die besetzten Gebiete gelieferten Hilfsgüter, wie zum Beispiel medizinisches Gerät, monatelang nicht an palästinensische Krankenhäuser ausgeliefert werden konnten, da die israelischen Behörden dafür Steuern verlangten.

Innerhalb der Kommission wurde deutlich geäußert, daß es sich bei den Schwierigkeiten nicht um die Folgen bürokratischer Unzulänglichkeiten handelt, sondern um eine gezielte Politik Israels, mit der eine Verbesserung der sozialen und ökonomischen Situation der Palästinenser in den besetzten Gebieten verhindert werden soll. Mittlerweile werden Vertreter der EG nach Israel und in die besetzten Gebiete entsandt, um einen reibungslosen Ablauf sicherzustellen.

Durch eine mündliche Anfrage initiierte der Abgeordnete Wilfried Telkämper (Die Grünen) im November und Dezember 1989 eine kontroverse Debatte während der Parlamentssitzungen in Straßburg. Bei der Verurteilung weiterer Menschenrechtsverletzungen durch Israel war sich das Parlament weitgehend einig. Die Schließung aller Bildungseinrichtungen in der Westbank, willkürliche Verhaftungen und auch Deportationen wurden verurteilt. Nicht einig war man sich bei der Einschätzung der ersten praktischen Erfahrungen bei der Umsetzung der umstrittenen Handelsprotokolle mit Israel. Doch schließlich wurde vom Parlament mit knapper Mehrheit ein umfangreicher Entschließungsantrag verabschiedet, in dem Israel wegen der Behinderung der präferenziellen Wirtschaftsbeziehungen mit der Westbank und dem Gaza-Streifen gerügt wird.

Die interparlamentarische Delegation Europa/Israel wurde beauftragt, in Kontakten mit Israel nachdrücklich auf einen Abbau dieser Behinderungen und Diskriminierungen hinzuwirken und eine Respektierung der Menschenrechte zu fordern. Die Kommission wurde aufgefordert, dem Parlament nach Abschluß der jeweiligen Erntesaison in Zukunft jährlich über Umfang und Ablauf der Handelsbeziehungen sowie über noch bestehende Behinderungen und Diskriminierungen Bericht zu erstatten. Das Europäische Parlament hat sich zum ersten Mal vorgenommen, diesen Vorgängen selbst nachzugehen und einen Untersuchungsbericht in Auftrag zu geben.

Im Rahmen der regelmäßigen Kontakte zwischen dem Europäischen Parlament und der israelischen Knesset besuchte eine israelische Delegation im Januar 1990 Straßburg. Die israelischen Abgeordneten aus Arbeitspartei und Likud reagierten auf kritische Fragen und Vorwürfe äußerst empfindlich. Sie beschuldigten das Parlament der Einseitigkeit und wandten sich vor allem gegen die Androhung von Wirtschaftssanktionen.

Überraschung löste jedoch aus, daß sowohl der Präsident des Europäischen Rates, der irische Außenminister Collins, sowie der für die Beziehungen zu Israel zuständige Kommissar Matutes bei dieser Gelegenheit ihre öffentliche Zurückhaltung gegenüber Israel aufgaben. Beide mahnten die Zulassung ungehinderter Exporte aus den besetzten Gebieten in die EG an. Auch stellten beide zum ersten Mal ein politisches Junktim zwischen der Entwicklung im Nahen Osten und dem Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen mit Israel her, indem sie betonten, daß die EG in Zukunft nur dann einer weiteren Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Israel und der EG zustimmen werde, wenn Israel einen Beitrag zum Friedensprozeß im Nahen Osten leiste.

Besonders der irische Ratspräsident betonte die Forderung der EG nach einem Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, nach Verhandlungen mit der PLO und der Einberufung einer internationalen Pressekonferenz.

Der israelischen Delegation wurde deutlich, daß es innerhalb der Europäischen Gemeinschaft Bestrebungen gibt, sich hinsichtlich des Palästinakonflikts nicht mit einer Zuschauerrolle zu begnügen. Die Sackgasse, in die die diplomatischen Bemühungen der USA geraten sind und der daraus resultierende mögliche Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem Friedensprozeß stärkt die Kräfte innerhalb der EG, die für eine aktivere Rolle Europas im Nahen Osten plädieren. Für Israel könnte eine solche Entwicklung gefährlich werden: Israel sähe sich einem Junktim zwischen den wirtschaftlichen Beziehungen zur EG und seinen Fortschritten im Friedensprozeß gegenüber und könnte auch in Europa in eine wachsende politische Isolation geraten.

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