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Papa arbeitet im AKW - Krebsrisiko beim Kind

Britische Forscher haben nachgewiesen, daß Kinder von WAA-Arbeitern häufiger an Leukämie erkranken / Betreiberfirma wagt noch immer, das Risiko runterzuspielen / Anwalt fordert sofortiges Handeln gegen Windscale  ■  Aus Sellafield Ralf Sotscheck

Wissenschaftler aus Großbritannien haben nachgewiesen, daß eine Verbindung zwischen der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield (Windscale) in West-Cumbria und der hohen Leukämierate unter Kindern besteht.

In dem Bericht von Professor Martin Gardner, der gestern im „British Medical Journal“ veröffentlicht wurde, heißt es, daß zum ersten Mal „eine plausible statistische und biologische Erklärung“ für die Häufung von Krebsfällen in der Nähe von Atomanlagen gefunden worden ist. Gardner von der Universität Southampton wurde bereits 1984 mit der Untersuchung beauftragt, nachdem in dem Ort Seascale bei Sellafield zehnmal mehr Fälle von Leukämie bei Kindern als im Landesdurchschnitt festgestellt worden waren. Der Professor untersuchte 97 Krebskranke, die zwischen 1950 und 1985 in West-Cumbria geboren wurden. Er kam zu dem Ergebnis, daß das Krebsrisiko für die Kinder am größten ist, deren Väter in der WAA arbeiten und vor der Zeugung einer erhöhten Strahlung ausgesetzt sind. Bei einer Strahlung von 100 Millisievert erhöht sich die Wahrscheinlichkeit um das sechs - bis achtfache, daß eine genetische Veränderung der Spermien stattfindet. Gardner sagte, daß er das Ergebnis in dieser Eindeutigkeit nicht erwartet hatte.

Die Untersuchung ist von weltweiter Bedeutung. Martin Forwood von der Organisation CORE („Cumbrier gegen eine radioaktive Umwelt“) sagte: „Wir sind froh, daß endlich bestätigt worden ist, was wir schon seit Jahren sagen. Atomkraft fördert Krebs.“ Der Gardner-Bericht wird auch Auswirkungen auf den Prozeß haben, den die Eltern von 35 Leukämie-Opfern gegen die Betreiberfirma von Sellafield, British Nuclear Fuels (BNFL), angestrengt haben. In vier Testfällen ist zunächst Klage erhoben worden. Jennifer Renwick, deren Sohn Ian 1971 im Alter von dreieinhalb Jahren an Leukämie gestorben ist, lebt in Egremont, nur sechs Kilometer von Sellafield entfernt. Sie sagte zur taz: „Ich bin sehr froh über die Untersuchung. Bisher hat uns niemand ernst genommen. Aber jetzt glaube ich, daß wir unserem Ziel einen Schritt näher gekommen sind.“ BNFL bestreitet jedoch noch immer, daß der Zusammenhang zwischen der WAA und den Leukämiefällen eindeutig bewiesen sei.

BNFL-Pressesprecher Allan Irving räumte gestern gegenüber der taz zwar ein, daß seine Firma überrascht und betroffen sei, doch er forderte weitere Untersuchungen: „Die Untersuchung stellt fest, daß es möglicherweise ein erhöhtes Risiko gegeben habe. Selbst wenn das stimmen sollte, war dieses Risiko jedoch sehr gering und besteht heute nicht mehr, da die Strahlung inzwischen drastisch reduziert wurde. Außerdem sind in dem älteren Teil der Anlage, wo die Strahlung höher als erwünscht ist, nur noch 300 Arbeiter beschäftigt.“ Der Gesundheitszustand der Babies in West -Cumbria sei nicht besorgniserregend und in Seascale laut einer BNFL-Untersuchung sogar überdurchschnittlich gut.

Martin Day, der die Eltern der Leukämie-Opfer vor Gericht vertritt, sagte zu dem Untersuchungsergebnis: „Hier ist der absolut klarste Beweis, und er kommt von einer unabhängigen Organisation, die von der Regierung bezahlt wird und nichts mit uns oder BNFL zu tun hat. Ich glaube, daß jetzt sofort gehandelt werden muß.“

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