: Vorauseilender Gehorsam
Die Energie-Zukunft für die DDR ■ K O M M E N T A R
Wer in den letzten Wochen die Diskussion über die Umweltmisere der DDR verfolgt hat, dem fiel es schwer, inmitten dieser deprimierenden Bestandsaufnahme noch positive Ansätze zu finden. Ein ganzes Land schien umzingelt von morschen Reaktoren, Giftwolken und den Mondlandschaften des Braunkohletagebaus. Und doch blitzte dieses Positive immer wieder durch: Die Krise als Chance zu begreifen. DDR -Energieminister Pflugbeil wagte es sogar, vom Aufbau einer für ganz Europa beispielhaften Energieversorgung zu träumen mit radikalen Energiesparkonzepten, kleinen dezentralen Kombi-Kraftwerken und erneuerbaren Energiequellen. Denn: Die DDR habe keine Energiemafia wie die Bundesrepublik, die eine solche Zukunft versperre.
Doch wer sich den gestern im DDR-Wirtschaftskabinett vorgelegten, mit Spannung erwarteten neuen Energieplan für die DDR ansieht, der findet nichts von des Ministers Traum. Statt einem Kurswechsel in der Energiepolitik erfolgt die weitgehende Angleichung an die Energiestruktur der BRD. Der Ausbau der Atomenergie und die Stabilisierung des bestehenden Energieverbrauchs (des drittgrößten in der Welt) bis zum Jahr 2000 kennzeichnen das Papier. Es wird nicht gefragt, wieviel Energie die DDR wofür braucht, sondern wie ein gleichbleibend hoher Bedarf erfüllt werden kann.
Die Direktoren der Energiekombinate und das Leipziger Institut für Energetik sind die Einflüsterer im Hintergrund und die eigentlichen Verfasser dieses Energieplans. Es sind dieselben Leute, die den alten Augen-zu-Energiekurs der SED vollzogen haben. Viel hilft viel, lautete jahrzehntelang ihre Energiestrategie, von der sie sich noch lange nicht befreit haben. Neben dieser Erblast in den Köpfen dominiert vor allem das Schielen gen Westen den Zukunftsentwurf. Wie bei so vielen Erneuerungsprozessen in der DDR zeigen auch die Energieplaner, daß ihnen, befreit vom Würgegriff der SED, dennoch wenig einfällt. Die ganz und gar nicht rosigen Energiedaten aus Frankreich und der BRD, die - heftig umstrittenen - Prognosen der Weltenergiekonferenz werden wie heilige Zahlen respektvoll zitiert und als Vorbild hingestellt. Zu einem eigenen Weg jenseits der atomaren Sackgasse des Westens fehlt das Selbstbewußtsein, die Phantasie und vielleicht auch die Kompetenz. Auch dies ist eine Konsequenz einer jahrzehntelang abgeschotteten kritiklosen Gesellschaft. Oder ist ihr Energieplan nur vorauseilender Gehorsam gegenüber den Energiekonzernen im Westen?
Manfred Kriener
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