: Die Angst vor Spree-Manhattan
■ Stadtplaner der Gruppe „9. November“ aus Ost und West fordern jetzt neue Gesamtberliner Bauordnung / Scharfe Kritik an undurchsichtigen Vorentscheidungen des Regionalausschusses / Neue Ideen für die Buga
Mit harscher Kritik an dem derzeitigen ungezügelten und unkontrollierten Planungschaos in beiden Stadthälften hat sich gestern zum zweiten Mal die Gruppe „9. November“ zu Wort gemeldet.
Die etwa 20 unabhängigen Stadtplaner aus Ost und West hatten im Januar erstmals von sich reden gemacht, als sie auf dem Leipziger Platz energisch einen Baustopp forderten. Diesmal, in den Ausstellungsräumen im U-Bahnhof Schlesisches Tor, gingen die selbsternannten Vordenker eines geeinten Berlin noch einen Schritt weiter: In dem herrschenden „Vakuum“, das unversehens von privaten Investoren a la Daimler-Benz gefüllt werde, müßten konkrete Planungsregeln aufgestellt werden, so der Westberliner Stadthistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm.
Es sei „hohe Zeit“, daß eine Kommission von Parlamentariern sowie von Magistrats- und Senatsvertretern unverzüglich über eine Gesamtberliner Bauordnung nachdenke, forderte auch der Architekt Ulrich Reinisch von der Humboldt-Universität. Erforderlicher Hauptinhalt des Paragraphenwerks: die Festlegung „historischer Zonen“ mit „strenger Höhenbegrenzung“ für neue Bauwerke. „Um Manhattan am Leipziger Platz zu verhindern“, dürften beispielsweise im gesamten Innenstadtbereich künftig nicht mehr als fünf bis sechs Geschosse erlaubt sein. Wie der Architekturtheoretiker weiter ausführte, sollte die gedachte Bauordnung auch strenge Abstandsregeln enthalten, die „aus heutiger bauhygienischer Sicht“ das Verhältnis von bebauten und unbebauten Flächen regeln könnten.
In diesem Zusammenhang regte Reinisch an, kurzfristig ein Forschungsprogramm für eine verbesserte Umweltverträglichkeitsprüfung zu starten. Ansonsten gab sich der Architekturdozent als bis in die Knochen traditionsverhafteter Zunftvertreter zu erkennen: Ausgangspunkt jeglicher Stadtplanung habe die historisch überkommene Parzellenordnung und die Hobrechtsche Straßenplanung aus dem 19. Jahrhundert zu sein.
Mächtig sauer waren die Sprecher des „9. November“ über die ungeliebte Konkurrenz des west-östlichen Regionalausschusses. Dieses Gremium entziehe sich nicht nur der öffentlichen Diskussion, sondern auch der parlamentarischen Kontrolle, polterte der Kreuzberger Ex -Baustadtrat Orlowsky. Westberliner Politiker seien sich nicht zu schade, mit östlichen „Fossilien der alten Kaderclique“ hinter verschlossenen Türen „nach altbewährter obrigkeitsstaatlicher Manier“ Planungen auszuhecken.
Eigene Vorstellungen zur weiteren Stadtgestaltung präsentierten die Leute vom „9. November“ gestern nur bruchstückhaft für drei Schwerpunktbereiche. Dazu zählt eine grenzüberschreitende „neue Buga“. „Unser Vorschlag wäre eine Bundesgartenschau entlang der Spree sowohl in Ost- als auch in West-Berlin - vom Treptower Park über Berlin-Mitte mit dem Lustgarten, dem Tiergarten mit dem Moabiter Werder durch die Gewerbe- und Wohnquartiere von Charlottenburg und Moabit bis zum Charlottenburger Schloßpark“, erklärte die Westberliner Landschaftsarchitektin Heike Langenbach.
thok
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen