: Widerspruch gegen naive Erfolgsmeldungen
Europäische Aids-Konferenz thematisiert die schwulen Aspekte von Aids / Safer Sex wird wieder „lockerer“ gehandhabt ■ Von Andreas Salmen
Kopenhagen (taz) - „Let's face reality“ hieß die Botschaft der „Ersten Europäischen Konferenz zum HIV und Homosexualität“, zu der sich am Wochenende rund 200 Teilnehmer aus 20 europäischen Staaten in der dänischen Hauptstadt versammelt hatten. Aids sei zwar keine Schwulenkrankheit, so die Veranstalter, aber in Mitteleuropa seien vornehmlich Schwule von der Immunschwäche betroffen. In den meisten europäischen Ländern sind 70-80 Prozent der Aids-Kranken homo- und bisexuelle Männer. Dies wieder in Erinnerung zu rufen und in den Mittelpunkt staatlicher Aids -Politk zu stellen, war Ziel der Tagung, zu der die homosexuellen Verbände Skandinaviens eingeladen hatten.
Gespalten reagierte der Kopenhagener Bürgermeister in seinem Grußwort auf die Absicht der Konferenz. „Ich verstehe dieses Bedürfnis nach einer Art Aids-Glasnost.“ Gleichzeitig warnte er aber auch vor der Reaktion der Öffentlichkeit, der man gerade erst mit teuren „Aids-geht-jeden-an„-Kampagnen beigebracht habe, daß Aids eben nicht die „Schwulenpest“ sei. Die Teilnehmer ließen sich jedoch durch diese Warnung nicht davon abbringen, eine klare Sprache zu finden. Der niederländische Gesundheitswissenschaftler Hans Moerkerk ging mit der „Dehomosexualisierung“ von Aids hart ins Gericht. Sie sei verständlich von einem Standpunkt, der neuerliche Diskriminierung homosexueller Menschen verhindern wolle. „Gleichzeitig verschweigt diese Strategie aber unsere toten Freunde und unsere Betroffenheit.“ Moerkerk widersprach auch naiven Erfolgsmeldungen, wonach „die Schwulen“ ihr Sexualverhalten geändert hätten. Nach einem ersten Aids-Schock stiegen zur Zeit Infektionsraten von anderen sexuell übertragbaren Krankheiten unter homosexuellen Männern in den US-amerikanischen Großstädten und auch in Teilen Europas wieder an. Ein Indiz dafür, daß Safer Sex wieder „lockerer“ gehandhabt wird.
Die norwegische Soziologin Annick Prieur präsentierte eine Studie zu den Gründen schwuler Männer, auch heute noch Unsafe-Sex zu praktizieren. Interviews mit 64 Männern in Oslo zeigen, daß jene mit dem geringsten sozialen Rückhalt am ehesten dazu neigen, sich einem Infektionsrisiko auszusetzen. Entsprechend finde die überwiegende Zahl von sexuellen HIV-Übertragungen unter Männern heute bei jenen statt, die zwar homosexuelle Kontakte haben, sich aber nicht als „schwul“ definieren. Hier könne Abhilfe nur durch grundlegende soziale Veränderungen geschaffen werden.
Scharf kritisierte der Stockholmer Sozialwissenschaftler Benny Henriksson die schwedisch-sozialdemokratische Aids -Politik. Sie zeichne sich durch ein großes HIV-Testprogramm und angstmachende antisexuelle und schwulenfeindliche Propaganda aus. So seien schwule Saunen geschlossen und homosexuelle Männer in Regierungsannoncen als infektiöse Sexmonster dargestellt worden. „Warum verhalten sich radikale linke Politiker wie ein Haufen alter Damen der Oberschicht, wenn es um Homosexualität geht?“ fragte Henriksson.
Intensiv wurden in Kopenhagen die Möglichkeiten medizinisch -therapeutischer Behandlung bei Aids diskutiert. Der Brite Simon Watney verlangte eine bessere Beteiligung der Betroffenen an den medizinischen Studien. Untersuchungen müßten zwar wissenschaftlichen Standards entsprechen, gleichzeitig sollten sie sich jedoch stärker an den Bedürfnissen von Menschen mit HIV orientieren. Wie unterschiedlich dies heute noch gehandhabt werde, illustrierte er mit der klinischen Prüfung des neuen AZT -verwandten Mittels „ddI“ in Westeuropa. Während in Großbritannien nahezu jeder interessierte Kranke in die Studie aufgenommen werden könnte, sei - bei weitaus größerem Bedarf - die westdeutsche Studie restriktiv auf 180 Personen beschränkt worden.
Einig waren sich die Konferenzbesucher, daß mit dieser ersten Konferenz ein wichtiges Forum für die Auseinandersetzung mit den schwulen Askpekten von Aids geschaffen wurde. Die Folgeveranstaltung soll im nächsten Jahr in den Niederlanden stattfinden.
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