: Asyl nur durchs Karlsruher Nadelöhr
Der Asylexperte Münch legt Gutachten vor / „Karlsruher Modell“ seiner Überzeugung nach verfassungswidrig ■ Aus Stuttgart Uwe Rosentreter
„Der Flüchtling wird zum bloßen Objekt des Verfahrens herabgewürdigt; er hat keine Gelegenheit, seine Rechte im Verfahren wirksam zu vertreten.“ Zu diesem Ergebnis kommt der Heidelberger Rechtsanwalt und Asylexperte Berthold Münch in dem Gutachten „Zur Verfassungsmäßigkeit des 'Karlsruher Modells'“, das er im Auftrag der baden-württembergischen Landtagsfraktion der Grünen erstellt hat.
Seit dem 1.Januar 1989 wurde die Zuständigkeit für alle in Baden-Württemberg gestellten Asylanträge auf die Ausländerbehörde der Stadt Karlsruhe übertragen. Die Behörde befindet sich auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt), auf dem außerdem eine Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und ein Sammellager untergebracht sind.
Diese Zentralisierung führt zu einer erheblichen Beschleunigung der Verfahren von früher bis zu zwei Jahren auf heute durchschnittlich vier bis sechs Wochen.
Zwar begrüßt selbst der „Arbeitskreis Asyl Baden -Württemberg“ diesen Beschleunigungseffekt, weil die früher sehr lange Verfahrensdauer bei den Flüchtlingen zu starken Belastungen geführt habe. Gleichzeitig wird jedoch befürchtet, daß das „Ziel des 'Karlsruher Modells‘ die Verhinderung zweckdienlicher Beratung der Flüchtlinge“ sei, „um schneller abschieben zu können“.
Hauptkritikpunkt im Gutachten des Asylexperten Münch ist denn auch, daß die Zentralisierung in Karlsruhe eine unabhängige Rechtsberatung der Flüchtlinge verhindere. Es besthe nach diesem Modell kaum noch Zeit, die ohnehin geringen Möglichkeiten ehrenamtlicher Beratung in Anspruch zu nehmen oder sich gar von einem Anwalt beraten zu lassen.
Für ein solches Beratungsrecht gäbe es keinerlei Anhaltspunkte in den einschlägigen gesetzlichen Formulierungen, so Dr.Friedrich Gaggenholz, Referatsleiter für Ausländer- und Asylrecht im baden-württembergischen Innenministerium. Dazu Rechtsanwalt Berthold Münch: „Völlig daneben. Eine Anhörung kann nur dann einen Sinn haben, wenn der Betroffene wirklich die Chance hat, sich vorzubereiten.“
Zumal den Angaben der Asylsuchenden in der ersten Anhörung durch die Ausländerbehörde entscheidende Bedeutung für das gesamte Verfahren zukommt: Spätere Abweichungen werden von den Behörden fast immer als „gesteigertes Vorbeugen“, also für unglaubwürdig gehalten.
Die drei für die Anhörung zuständigen Mitarbeiter der Karlsruher Ausländerbehörde entscheiden laut Behördenauskunft nach zehn bis 25minütiger Anhörung, ob ein „beachtlicher“ Asylantrag vorliegt. Dann wird die Akte durch das „Karlsruher Loch“, einem Durchbruch in der Wand, von der Ausländerbehörde zum Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durchgereicht.
Dort findet häufig noch am selben Tag, höchstens bis zu sechs Tagen später, eine weitere Anhörung statt. Dabei, so kritisiert das Gutachten, komme es häufig zu Terminverschiebungen und dadurch zu Terminschwierigkeiten für etwa beteiligte (rechtsanwaltliche) Beistände. Auch hier verstoße die Verfahrenspraxis dagegen, daß Anhörungen nach Zeit, Ort und sonstigen Umständen angemessen und zumutbar sein müssen und für notwendige Ermittlungen sowie die Betreuung eines Rechtsanwalts ausreichend Zeit gewährt werden müsse. Insgesamt zeige sich, so Gutachter Münch, daß die Handhabung der Anhörungen im Karlsruher Modell den Anforderungen, die an ein grundrechtsbezogenes Verfahren gestellt werden müssen, nicht genügt.
Die Grünen im baden-württembergischen Landtag fordern deshalb den sofortigen Stopp des Modells. Ohnehin werde der begrüßenswerte Beschleunigungseffekt durch die anschließenden gerichtlichen Verfahren der in Karlsruhe abgelehnten Asylbewerber durch einen Stau bei den Verwaltungsgerichten wieder aufgehoben.
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