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Berlin - Hauptstadtfieber, Hauptstadtangst

Wird Berlin die Hauptstadt des künftigen Landes Brandenburg? / SPD-West lehnt eindeutig ein Land Berlin innerhalb der bisherigen Stadtgrenzen ab / Die stadtplanerische Zukunft der Vier-Millionen-Metropole steht zur Debatte - kapitalkräftige Interessen sind bereits am Werk  ■  Von Klaus Hartung

Berlin (taz) - Hitzewellen regieren die Stadt; nicht nur wegen des vorzeitigen Frühlings, sondern wegen der heißen Spekulation. Es geht um die Hauptstadt Berlin, um die Hauptstadt des geeinten Deutschland und um die Hauptstadt des künftigen Landes Brandenburg. Zeitdruck herrscht, ganz neue Koalitionen der politischen Defensive und des Angriffs zeichnen sich ab.

Unter Zeitdruck steht vor allem die Frage der Landeshauptstadt Brandenburg. Noch in diesem Jahr werden in der DDR die alten Länder wieder aus der Taufe gehoben. Mit dem Rücktritt des Ostberliner Oberbürgermeisters Krack gestern morgen, zwei Monate vor den Kommunalwahlen in der DDR, ist das kommunalpolitische Vakuum nicht nur in Ost -Berlin, sondern im Umland offensichtlich. Der Rücktrittsgrund von Krack, seine Mitschuld an der Fälschung der vergangenen Kommunalwahlen, gilt auch für die anderen Bürgermeister im Umland.

CDU-Ost: Momper soll ins Rote Rathaus einziehen

Zudem läßt sich - bei anhaltendem Übersiedlerstrom - leicht ausrechnen, wann die kommunale Infrastruktur zusammenbricht. Nothaushalte sind in der Planung; die Übernahme der Verwaltungshoheit in Ost-Berlin und im Umland ist realistischerweise zu erwarten. Für das Jahr 1990 gibt es in Ost-Berlin noch keinen Haushaltsplan.

Die CDU-West hat schon mal vorsorglich für den 6.Mai Gesamtberliner Kommunalwahlen gefordert. Die CDU-Ost hat jetzt Momper vorgeschlagen, ins Ostberliner Rote Rathaus einzuziehen. Für den geschäftsführenden Landesvorsitzenden der SPD-West, Lorenz, ist genau das die Politik der Einheit als „Sturzgeburt„; die vorzeitige Herauslösung Ost-Berlins wäre praktisch der Anschluß nach Art. 23 des Grundgesetzes, sprich die vorweggenommene Auflösung der DDR.

Anfang der Woche stellte der SPD-Landesvorstand ein noch dürftiges Papier vor: danach wird ein Land Berlin innerhalb der bisherigen Stadtgrenzen abgelehnt. Da gibt es einschlägige schlimme Erfahrungen aus den BRD-Stadtstaaten, potente Steuerzahler ziehen ins Umland; außerdem wäre damit die Gefahr des Zersiedelns der brandenburgischen Idyllen unvermeidbar.

„Wir denken die Region Berlin in einem Zirkelschlag von 70 Kilometern rund um das Brandenburger Tor“, erklärte Lorenz. Mithin wäre die Vorstellung eines „Landes Groß-Berlin innerhalb des Landes Brandenburg“ der SPD zufolge unsinnig. Das ist allerdings ein Projekt, das noch viel Streit erzeugen wird. Die SPD jedenfalls will zum Landesparteitag im Juni mit einem Berlin-Programm hervortreten und zugleich einen gemeinsamen Parteitag von SPD-Ost und -West vorbereiten. Beide SPD-Gliederungen haben eine gemeinsame „Kommission Zukunft“ gegründet. Mittwoch nächster Woche sollen die ersten Ergebnisse vorgelegt werden.

Der Koalitionspartner AL bietet da eher Visionen der „Sanftheit“ als Programme auf: einen „sanften Weg der Annäherung“ forderte Bernd Köppl am Donnerstag. Ob die sich rasant verschiebenden Kräfteverhältnisse Sanftheit zulassen, steht dahin. Zwar hat die stadtplanerische Szene von Berlin -West das Konzept der „behutsamen Stadterneuerung“ zum Gesamtberliner Konsens gemacht. Aber der Spekulationsdruck der Bauwirtschaft polarisiert die Architekten zwischen Auftraggebern und Stadtverteidigern. Mercedes-Benz hat schon Anspruch auf das Filetstück des geeinten Deutschlands verkündet: ein 64.000 Quadratmeter großes Gründstück mit der Basis am Landwehrkanal und mit der Spitze am Potsdamer Platz, die verheißungsvollste Brachfläche der künftigen Hauptstadt. Der größte Berliner Baukonzern, die Klingbeil -Gruppe, wirft sich auf das alte Ostberliner Scheunenviertel hinter dem Alexanderplatz.

Dieses Viertel, bis heute Ort des planwirtschaftlichen Verfalls, war das Berliner „Milieu“ bis in die zwanziger Jahre. Anlaufstelle der Ost-Juden, Treffpunkt der „Spar- und Ringvereine“, „Mulackei“, nach der Mulackstraße, wurde es genannt. Noch heute kann man dort hebräische Ladeninschriften und Hinweise auf koscheres Essen entdecken. Klingbeil stellte jedenfalls Pläne für ein zwölfstöckiges Hochhaus vor. Vorverträge mit der Kommunalen Wohnungs -Verwaltung (KWV) soll es geben, die auch ein denkmalgeschütztes Wohnhaus, Rosenthaler Straße, betreffen. Auch die Westberliner Baugesellschaft DeGeWo soll sich schon Vorverträge gesichert haben.

Alles Anzeichen, mit welchem Tempo spekulatives Kapital jetzt schon Fakten setzen will, zu einem Zeitpunkt, an dem die Vertragspartner in Ost-Berlin in einem politischen und faktisch auch in einem gesetzlichen Vakuum operieren. Die Bodenpreise an den Rändern von West-Berlin sind zudem schon auf das 50fache gestiegen.

Widerstand ist da: Im Scheunenviertel hat sich eine Bürgerinitiative „Spandauer Vorstadt“ gebildet. Die „Instandbesetzer„-Szene aus Kreuzberg ist längst tätig, um mit den Anwohnern des Scheunenviertels die Häuser zumindest provisorisch zu sanieren. Mercedes-Benz hat die Bewohner des Hauses Huth, des einzigen Hauses, das vom einstigen Potsdamer Platz übriggeblieben ist, aufgeweckt. Sie verlangen vom Senat ein Wohnrecht; das Haus selbst ist denkmalgeschützt.

Die Gruppe „9.November“, eine 20köpfige Gruppe von Stadtplanern aus Ost und West, hat angesichts des Griffs nach Berlin-Mitte durch Mercedes-Benz vehement stadtplanerische Prinzipien eingeklagt und hatte bislang einen bedeutenden Erfolg: sie hat einen Baustopp der Plattenungetüme am Ostberliner Leipziger Platz, einer der drei großen historischen Plätze aus dem 18.Jahrhundert, durchgesetzt.

Tatsächlich gibt es keine in der Welt vergleichbare stadtplanerische Aufgabe wie die Rekonstruktion von Berlin -Mitte. Hohe Zeit, die gesetzlichen, politischen und zivilisatorischen Voraussetzungen zu schaffen. Doch gerade das ist kritisch: Die DDR-Verwaltungen sind von der Energie westlicher Kapitalmacht überfordert.

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