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■ GASTKOMMENTARWarum ich mich auf die Wiedervereinigung freue

Weil wir dann eine Macht sind. Eine Million Soldaten. Noch mal soviele Polizisten. Jeder Deutsche ein Auto. Hunderttausende von Gefängnissen. Ein unübersehbares Heer von Finanzbeamten. Oderkähne. Danziger Goldwasser. Königsberger Klopse. Das Frische Haff. Schneekoppen –Abfahrtsläufe. Rübezahl in Kattowitz. Schweidnitzer Keller. Zeiss-Ikon für Münemann. Die Nachkommen der pferdemenges als Verpächter brandenburgischer Angelplätze und der vielen schönen Seen, die uns dann wieder gehören. Die Jahrhunderthalle in Breslau. Stettiner Sängerknaben. Dresdner Zwinger. Auerbachs Keller in Leipzig. Thomanerchor. Die Kirche in Wittenberg. Goethestadt Weimar. Das Westberliner Theater, das wieder nach Cottbus umzieht. Baden in der Ostsee. Rügenwalder Teewurst. Kreidefelsen. Ein 70 –Millionen-Volk. Und eine hohe Mauer an der deutsch –polnischen Grenze von 1937. Mit Schießbefehl für Bundesgrenzschutz. Damit kein Pole zu uns rein kann, weil wir unter uns sind. Weil wir nicht getrennt sein wollen von unserer Familie.

Und weil wir dann auch keinen Ärger mehr haben mit fremden Polizisten, die unsere Autos im eigenen Land durchschnüffeln. Weil wir dann keine Entwicklungshilfe mehr zu zahlen brauchen an fremde Völker. Weil die dann nichts mehr anerkennen brauchen. Oder können, was sie wollen. Weil wir dann nicht erpreßbar werden. Weil wir dann keine Schicksalsfrage der Nation mehr haben. Nur noch Antworten. Auf demokratischer Basis. Und jeder, der kein Demokrat ist, kriegt dann eins in die Fresse. Weil wir was gelernt haben. Weil wir's diesmal besser machen. Weil wir die Franzosen nicht mehr brauchen. Weil der Russe die Quittung kriegt. Und Rostock und Swinemünde und Danzig Kriegsschiffe aus Wilhelmshaven und Kiel. Und weil die Bundesliga aufgestockt wir und weil der 1. FC Köln dann gegen Beuthien 09 antreten muß.

Weil wir keine KZs mehr brauchen. Weil die Juden aus Berlin, Hamburg und München dann nach Israel müssen. Und Ulbrichts Schergen ins Lager kommen. Weil das unsere Selbstbestimmung ist. Und dem Völkerrecht Genüge geschieht. Und in Werder die Baumblüte. Endlich wieder Töpfereien in Bunzlau. Peenemünde wird aufgebaut.

Dann zittern aber die Chinesen.

Deshalb freue ich mich auf die Wiedervereinigung. Weil die Chinesen letezten Endes doch an der deutschen Teilung schuld sind. Was die später mal alles mit uns machen wollen, nur weil wir sie heute hungern lassen. Deshalb müssen wir wieder ein Volk, mehrere Führer haben (das muß sein in einer Demokratie): Und reich müssen wir auch bleiben, wegen der Anziehungskraft bis zum Ural.

Ich freue mich auch darauf, weil die Intellektuellen dann nicht Recht bekommen. Die wollen verzichten. Unser Anspruch ist aber unverzichtbar. Weil wir zusammengehören. Darum freue ich mich auf die Wiedervereinigung. Weil es uns dann noch besser geht als heute. Vom Saargebiet bis nach Allenstein.

Dann sehen wir weiter.

Wolfgang Neuss, 1965

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