: Buckow - die Sommerfrische der Berliner
■ Fontane beschwerte sich über die „lebensgefährlichen“ Straßen, und Brecht erholte sich dort vom Theaterstreß
Buckow ist eines jener vielen märkischen Städtchen, die in bedrückend-faszinierender Weise unsicher machen, ob Theodor Fontanes Wanderungen, in denen Preußens großer Romancier vor weit über 100 Jahren seine Beobachtungen von Land und Leuten niedergeschrieben hat, nicht auch heute noch ein recht aktueller Reiseführer sind. „Lebensgefährlich“, meinte er, sei Buckows Straßenpflaster und argwöhnte dann weiter, daß es „mit seiner hals- und wagenbrechenden Passage“ den Eindruck erwecke, als wohnten nur Schmiede und Chirurgen in der Stadt.Seitdem ist es mit dem alten Kopfsteinpflaster nicht besser geworden. Aus den Fugen geraten steht der eine Stein hoch, versinkt der andere im Boden, dann Löcher, dann Rinnen - für Fahrradfahrer eine Mutprobe, für Trabis eine riskante Slalomstrecke. Die Folge: außerplanmäßige Verkehrsberuhigung. Ist dies nun ein Zeichen für Buckows verkehrspolitische Rückständigkeit oder für seine „objektiv“ umweltpolitische Weitsicht? Oder ist Buckow gar einer jener merkwürdigen Orte, wo - wie bei einer Uhr der Zeiger - die Zeit irgendwann stehengeblieben ist und nun plötzlich wieder richtig geht?
Das scheinbar verschlafene Provinznest hat im vergangenen Jahrhundert Schlagzeilen gemacht: Es hat den Aufstand gegen die preußische Obrigkeit gewagt. Das kam so: Buckow und seine „Herrschaft“, der Graf Flemming, waren miteinander in Streit darüber geraten, wer der rechtmäßige Eigentümer des Waldstücks sei. Die Richter gaben dem Grafen recht. Die Buckower jedoch, Klassenjustiz unterstellend, zogen daraufhin mit Knüppeln und Sensen bewaffnet in den umstrittenen Wald und jagten die gräflichen Forstarbeiter in die Flucht. Erst angesichts der aus den Kreisen Barnim und Lebus zusammengezogenen Polizeischaren streckten sie später die Waffen. Bald darauf gaben die Moritatensänger die Geschichte vom Buckower Unwillen überall im Lande zum besten.
Dem Ruf des Städtchens hat dies letztlich nicht geschadet. Um die Jahrhundertwende wurde Buckow zu einer beliebten Sommerfrische der Berliner. In den „besseren Kreisen“ der Reichshauptstadt war es Mode geworden, die Sommermonate auf dem Land zu verbringen. Nicht zuletzt Theodor Fontane hatte Buckow mit seinen Wanderungen Bekanntheit verschafft. Nun kamen wohlhabende Bürger, des „Weltstadtlebens überdrüssig“, aus dem gut 50 Kilometer entfernten Berlin in die abgeschiedene Provinzstadt und bauten sich hier und im benachbarten Waldsieversdorf schmucke Villenviertel. Nach langen Zeiten wirtschaftlicher Not war aus Buckow plötzlich ein Kurort ersten Ranges geworden mit vielen Gasthäusern, Erholungsheimen und Pensionen.
Das Erbe bürgerlicher Wohnkultur haben kaum ein halbes Jahrhundert später die angetreten und sich darin sehr wohlgefühlt, die zugleich die Werte des bürgerlichen Zeitalters überwinden helfen wollten: Bertolt Brecht und Helene Weigel. Sie kamen, um sich in der Villa am Ufer des Schermützelsees vom Streß und der Hektik des Berliner Theaterbetriebes zu erholen und um inmitten dieser schönen Landschaft ungestört zu arbeiten. Kontakte zu den Einheimischen suchten sie nicht, das war nicht ihre Welt. Doch von deren Ruhm ist dennoch etwas hängengeblieben - mit Brechts Buckower Elegien bekam der Ort ein kleines Plätzchen in der Literaturgeschichte.
Das Haus der Helene Weigel - 1952 pachtete sie die ehemalige Fabrikantenvilla - kann teilweise besichtigt werden. Ein paar Briefe und Manuskripte des Meisters sind in Vitrinen verschlossen. In einem Nebenraum befindet sich das Ausstellungsprunkstück und die Quasi-Reliquie aus den Anfängen der DDR-Theatergeschichte: der Wagen der „Mutter Courage“, den die Weigel über die Bühnenbretter des „Deutschen Theaters“ zog. Nur ein Teil des schönen Wassergrundstücks ist Besuchern zugänglich. Der Garten von Brechts Haus ist verschlossen. Dort im Haus wohnt Brechts und Weigels Tochter Barbara mit ihrem Mann.
Vom Brecht/Weigel-Haus führt ein Weg dreieinhalb Kilometer zwischen Waldesrand und Seeufer zur „Fischerkehle“. Die Ausflugsgaststätte bietet von ihrer Terrasse einen schönen Blick auf den See. Die nächste Gaststätte steht nur wenige hundert Meter weiter: „Buchenfried“. Für einen Ort mit knapp 2.400 Einwohnern ist „die gastronomische Versorgung der Bevölkerung“ auffallend „komplex“. Der Grund für diese, gemessen an den Verhältnissen in anderen DDR-Kleinstädten, gute „Versorgungslage“ ist einfach: Bis heute ist Buckow ein wichtiger Ferienort geblieben mit jährlich etwa 10.000 Urlaubsgästen. Untergebracht sind sie in mehreren Ferienwohnheimen des „Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes“ rund um Buckow und Waldsieversdorf. Dazu kommen noch die Urlauber in den paar kleinen Hotels, Jugendherbergen und vom Campingplatz am Klobichsee. Außerdem verbringen viele „Hauptstädter“ hier ihr Wochenende, und schließlich sind da noch die Soldaten der „Nationalen Volksarmee“, die in den großen Kasernenanlagen rund um Strausberg und Münchberg in Garnison stehen und im Sommer, sobald es der Dienstplan zuläßt, ihre Uniform gerne mit der Badehose vertauschen.Massenbetrieb ist dennoch eine Ausnahme. Das 40 Quadratkilometer große Wald- und Seengebiet, wegen seiner in der letzten Eiszeit entstandenen und in diesem Raum ungewöhnlichen Höhen und Schluchten „Märkische Schweiz“ genannt, bietet über ein Dutzend schöner und geruhsamer Wanderwege. An Buckows nördlichem Ortsausgang zum Beispiel kann man vom „Haus Tirol“ aus auf die Bollersdorger Höhen wandern - Tirol und Bollersdorf, so nahe liegen hier märkische Phantasie und Wirklichkeit beisammen. Von den Höhen reicht der Blick über den Schermützelsee und die von Buchen und Eichen bewaldete Endmoränenlandschaft bis in den Raum Fürstenwalde. Über den Poetensteig, durch die Drachen und Wolfsschlucht geht es weiter zu dem Kleinen und Großen Tornowsee.
Der erste, häufige Eindruck von Buckow - behäbige Verschlafenheit - ist voreilig, und das Urteil „Nischt als Jejend“ über die „Märkische Schweiz“ ist es nicht weniger. Die vielen Seen und Wälder, die Luchgebiete und die vielen sichtbaren Spuren der Eiszeit, die diese Landschaft formte, die friedlich-biederen Ortschaften mit ihren alten Dorfkirchen aus Feldstein, die Reste der ehemals feinen Villenviertel: dies alles zusammen macht Buckow und Umgebung doch zu einer kleinen Perle in den meist spröden Landschaften Brandenburgs und erst recht hier, hart am Rande des melancholisch stimmenden Oberlandes.
Es ist nur eine kleine Perle und sicherlich all denen kein „Sightseeing“ wert, die auf exotischen Edelsteinen bestehen und an dem bescheidenen Charme der märkischen Provinz selten genug - keinen Gefallen finden.
Wolfgang Kramer
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