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Sowjetische Juden im gelobten Land

■ „Saut al-Watan“: Zionistischer Traum vom 'Großisrael‘ könnte durch die Einwanderung sowjetischer Juden wieder belebt werden / Aufklärungskampagnen und Wirtschaftshilfe sollen Auswanderungswelle stoppen

Berlin (taz) - Die verstärkte Auswanderung sowjetischer Juden nach Israel weckt in palästinensischen Kreisen Beunruhigung. Seit Herbst vergangenen Jahres landen auf israelischen Flughäfen täglich Flugzeuge, die Hunderte von jüdischen Neueinwanderern aus der Sowjetunion ins heilige Land bringen. Die israelische Regierung plant, in Zusammenarbeit mit der Jewish Agency in den kommenden drei Jahren über 100.000 Neuankömmlinge aufzunehmen. Ministerpräsident Shamir sprach davon, in der nächsten Zeit etwa eine halbe Million sowjetischer Juden einwandern zu lassen und sie in sogenannten Neueinwandererlagern aufzunehmen. Dort sollen sie auf eine Aussiedlung in die von Israel besetzten Gebiete vorbereitet werden, in das Territorium, auf dem die Palästinenser ihren im Mai 1989 proklamierten Staat errichten wollen.

Zum verstärkten Strom sowjetischer Juden nach Israel war es unter anderem gekommen, nachdem im Oktober 1989 die amerikanischen Konsulate in den großen westeuropäischen Zwischenlandestationen wie Wien oder Rom Anweisung erhielten, keine Visa mehr für die Einreise in die USA zu erteilen.

In der letzten Ausgabe befürchtet die einflußreiche palästinensische Zeitschrift „Saut al-Watan“ (Stimme der Heimat), die wachsende Einwanderung sowjetischer Juden nach Israel könne den zionistischen Traum von einem „Großisrael“ beleben. Gleichzeitig diene sie als Vorwand für die Weigerung der Machthaber in Israel, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen. Darüber hinaus gebe es neue Projekte, Palästinenser aus den besetzten Gebieten auszuweisen.

All das könnte die Regelung des arabisch-israelischen Konflikts weiter verzögern oder gar völlig vereiteln. Die Palästinenser erwarten von ihrer Führung schnelle Maßnahmen, um dem verstärkten Siedlerdruck in den besetzten Gebieten zu begegnen. Die PLO-Führung reagierte und intensivierte ihre Konsultationen mit allen arabischen Staaten und mit der sowjetischen Führung mit dem Ziel, die Auswanderungswelle sowjetischer Juden und deren Ansiedlung in den besetzten Gebieten einzudämmen. Ohne Zweifel wurde dieses Problem während des Besuches einer hochrangigen PLO-Delegation Mitte Februar in Moskau zur Sprache gebracht, worauf die Direktflüge zwischen Moskau und Tel-Aviv endgültig eingestellt wurden. Die PLO will beim UN-Sicherheitsrat Beschwerde gegen die israelischen Praktiken einlegen und Garantien erlangen, welche die Verbindung der jüdischen Einwanderung nach Israel mit einer Verstärkung der israelischen Siedlertätigkeit in den besetzten Gebieten unmöglich machen. PLO-Chef Yasser Arafat erklärte in seiner Botschaft an die Jahresversammlung des Internationalen Zentrums für Frieden im Nahen Osten unmißverständlich, daß die PLO allen Menschen, auch den Juden aus der Sowjetunion, das Recht zugesteht, frei zu reisen und den Wohnort frei zu wählen. Dieses Recht höre allerdings dort auf, wo die Rechte eines anderen Volkes anfangen. „In diesem Fall handelt es sich um die Palästinenser, die das Recht haben, in ihrer Heimat zu leben.“

Neben internationalen Bemühungen wird große Hoffnungen auf die Aktivitäten der PLO und der Arabischen Liga in den von den Juden besiedelten Gebieten in der Sowjetunion selbst gesetzt. Arabische Investitionen sollen dort die schlechte wirtschaftliche Lage der ansässigen Juden verbesseren - die ein wesentlicher Grund für die Emigration aus der Sowjetunion ist - und sie so zum Bleiben veranlaßt werden sollen. Aufklärungskampagnen, die über die Wirklichkeit der Verhältnisse in Israel informieren, werden für geeignet erachtet, um ein Gegengewicht für die Werbetätigkeit jüdischer Organisationen zu bilden. Ob damit die besorgten Gemüter der Palästinenser beruhigt werden können, bleibt abzuwarten. Klar scheint jedoch zu sein, daß der internationale Druck in Richtung einer Lösung dieses Problems auf Israel, aber auch auf die UdSSR zunehmen wird, was die jüngsten Beschlüsse des Ministerrats der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) belegen.

U. Kurth

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