: Kein Vatermord bei der KPF
Allen Widersachern trotzend hält sich Frankreichs KP-Chef Marchais an der Macht ■ Aus Paris A. Smoltczyk
In Montreuil, wo wuchernd zusammenwuchs, was im noblen Paris keinen Platz mehr fand und deswegen in den Osten abgeschoben wurde, weil hier Malineser und Proleten weniger störten, in Montreuil also sieht manches anders aus als auf den glänzenden Titelseiten der Magazine. „Georges Marchais - das Ende“ war an den Kiosken der Kapitale zu lesen, weil ein Ceausescu im eigenen Land die Auflagen stärker steigen läßt als ein noch so morbider Report aus Rumänien.
Im roten Montreuil aber, wo der kommunistische Bürgermeister Jean-Pierre Brard erst im März mit 58 Prozent wiedergewählt wurde, ist die Orthodoxie noch allenthalben präsent: zur Linken des Rathauses ein Hinweis auf das ehemalige Wohnhaus des Konditors Jacques Duclos, einst Abgeordneter der Stadt und gefürchteter Statthalter des großen Dschugaschwili (Stalin, d.Red.); zur Rechten in der Victor-Hugo-Straße das Gebäude der Parteisektion. Ein frischgedruckter Generalsekretär lacht im Schaufenster sein jesuitisches Lachen - wohl wissend, daß es außerhalb des Apparats keine Wahrheit gibt und auch niemals geben wird.
„In Montreuil gibt es keinen Aufstand gegen Marchais“, sagt Paul Smith, stämmiger Sohn eines frankophilen Amerikaners. Und Marcel Dufriche, der Ehrenbürgermeister der Stadt und Marchais-Kritiker? „Eine Minderheit... Die Medien übertreiben maßlos“. Paul Smith ist ein guter Kommunist, er sagt niemals „ich“ und immer „wir“. Seine Generation hat das „Programme Commun“ und die Volksfrontpolitik bis 1977 nicht mehr miterlebt und gelernt, die Regierungsbeteiligung der KPF 1981 bis 1984 als strategischen Fehler zu sehen: „Wir hätten 1982 aussteigen müssen, als Mitterrand auf die Austeritäts-Politik umschwenkte“, meinen die jüngeren Militanten, froh darüber, wieder kompromißlose Bewegungspartei sein zu dürfen. Der 25. Parteitag hat ihnen 1985 die Losung mit auf den Weg gegeben, wonach dezentrale Initiativen in den Lebensbereichen der Lohnabhängigen Vorrang hätten vor dem Streben nach Teilhabe an der politischen Macht durch Volksfrontbündnisse. Die Verachtung für Mitterrands Sachwalter des Kapitalismus haben die Jungkommunisten aus der Victor-Hugo-Straße in Montreuil mit der zweiten Stütze des Georges Marchais‘, den Pensionären, gemein. Diese nämlich haben ihren Anti-Sozialismus noch aus den Zeiten des Kalten Krieges ins JahrIV nach Gorbatschow hinübergerettet.
„Es ist schon wahr: Viele Genossen stellen sich jetzt Fragen, nach Tienanmen und Temeswar. Aber das in Rumänien war kein Sozialismus“, sagt Smith, und außerdem hat Montreuils Bürgermeister noch Ende Dezember zwei Lastwagen mit Hilfsmitteln nach Rumänien geschickt. In Osteuropa sei eine Erneuerung des Sozialismus im Gange, die „von uns“ begrüßt werde, sagt er. Montreuil hat sich also nichts vorzuwerfen, und es braucht auch keine Leuchttürme, um auf Kurs zu bleiben: „Es gibt kein Modell mehr für die KPF. Wir orientieren uns seit langem nur noch an uns selbst“, sagt Paul, und dann liest er noch aus dem gerade eingetroffenen Flugblatt vor: „Eine antikommunistische, heuchlerische Kampagne von unerhörter Gewalt wird von den Medien geführt. Hinter den Medien steht die sozialistische Macht und Francois Mitterrand.“
Doch hinter den Medien steht noch etwas anderes: Nach dem Motto „Ihr Bundesdeutschen habt die DDR, was bleibt uns?“ hat Frankreich das befreite Rumänien adoptiert wie ein herrenloses Waisenkind. Kein Postamt, in dem nicht zu Spenden aufgerufen würde, keine Wendung der Revolte, die nicht live im Staatsfernsehen übertragen würde - zumal die Protagonisten in Bukarest perfekt französisch sprechen. Weil aber Außenpolitik in Frankreich meist ortsverlagerte Innenpolitik ist, dauerte es nicht lange, bis in den Metros die ersten Grafittis „CGT Securitate“, und in den Medien Fotos auftauchten, die Georges Marchais 1984 beim vertrauten Teegespräch mit Ceaucescu zeigen. Hatte die KPF denn nicht im Gegensatz zu den ungarischen und italienischen Genossen noch im November einen Beobachter zu Ceausescus Parteitag gesandt?
All dies ist wahr - so wahr wie die Heuchelei derer, die jetzt alles besser wissen. Denn getreu der Lehre de Gaulles, daß jeder Abweichler von der Blocklogik der natürliche Verbündete Frankreichs sei, waren alle Pariser Spitzenpolitiker gern in die Karpaten gereist. Und noch im April 1984, als mitten in Paris unter dem Fenster der rumänischen Botschaft der Leichnam des Nicolas Iosif mit einem Messer im Herzen gefunden wurde, hatte dies, wie der damalige Außenminister Claude Cheysson kürzlich gestand, keinerlei juristische Folgen.
Den KP-Chef in einem derartigen Klima der Heuchelei zu beschuldigen, könnte leicht den umgekehrten Effekt haben und Solidarisierungsreflexe auslösen. Im Gegensatz zu den Reformkommunisten außerhalb der Partei, den „Renovateuren“ um Henri Fiszbin, versuchen die innerparteilichen Kritiker, die „Rekonstrukteure“, eine Personalisierung des Konflikts möglichst zu vermeiden. Die Gruppe um die ehemaligen Minister Charles Fiterman, Marcel Rigout und Anicet Le Pors fordert die Einberufung eines Sonderparteitags und den Rücktritt des gesamten Politbüros. Der 69jährige Marchais soll, so meinen Eingeweihte, ohnehin beim nächsten Parteikongreß gegen Jahresende auf den Posten eines Parteipräsidenten weggelobt werden.
„Das Problem ist nicht Marchais, sondern die innerparteiliche Struktur. Ein Mann wie Gaston Plissonnier (Koordinator von Politbüro und ZK, der Marchais schon 1970 mit dem Segen Moskaus inthronisierte, d.Red.) ist viel gefährlicher. Jedes Papier in der Partei geht über seinen Schreibtisch“, meint der renommierte KP-Kenner und Herausgeber der Revue 'Communisme‘ Stephane Courtois. Charles Fiterman, dem Favoriten Gorbatschows, geht es weniger um eine Sozialdemokratisierung der KP als um ein Ende des demokratischen Zentralismus, damit eine innerparteiliche Debatte über eine Kursänderung überhaupt erst möglich werde.
Es müsse Schluß sein, so heißt es in der Januarnummer von 'Reconstruction Communiste‘, mit der „doppelten Unterordnung“ der Gesellschaft unter den Parteienstaat im Osten, und mit der Unterordnung der Parteibasis „unter die allwissende Führung“. Fitermann und Genossen klagen die Aufgabe des Avantgarde-Anspruchs ein - und stoßen damit die Partei aus dem Paradies der Gewißheiten auf den staubigen Acker des Meinungsstreits. Nicht für jedermann eine verlockende Perspektive.
„Man darf nicht vergessen, daß die KPF die einzige stalinistische Partei mit Massenbasis ist, die über eine ungebrochene Kontinuität seit ihrer Gründung verfügt“, erklärt Stephane Courtois. Einen Vatermord, einen XX.Parteitag wie in der UdSSR, hat es in der KPF nie gegeben. Im Gegenteil: Jacques Duclos und der in diesen Tagen vom Parteiorgan 'Humanite‘ vielzitierte Ex-Parteichef Maurice Thorez hatten Chruschtschows Enthüllungen noch erfolgreich abzuschwächen versucht.
Diese Kommunisten stellten 1956 Frankreichs stärkste Partei. 1976 wurde zwar die „Diktatur des Proletariats“ aus den Statuten gestrichen (und der Passus durch „die führende Rolle der Arbeiterklasse“ ersetzt) - doch die Diktatur der Parteiführung blieb die alte: „Jede Resolution wird in den Zellen abgestimmt, aber nur die Mehrheitsmeinung wird in die nächsthöhere Instanz delegiert. Deshalb werden sie ganz oben im ZK dann stets einstimmig verabschiedet. Mindermeinungen kann es so nicht geben“, weiß der Erneuerer Philippe Haumont aus eigener Erfahrung. Noch alle Dissidenten wurden ausgegrenzt oder ausgeschlossen. 1952 die Altbolschewisten und Resistancehelden Tillon und Marty, später dann der geläuterte Ankläger von Tillon, Roger Garaudy, und zuletzt der gleichfalls späterweckte Parteipropagandist Pierre Juquin. Stets siegte die Wahrheit des Apparats über die Wahrheit des Pluralismus, des Humanismus oder der Ökologie.
Als die Partei bei Wahlen immer mehr Stimmen an die Sozialisten und - in den Krisengebieten - auch an die Front National verlor und das mit dem Effekt, daß sie in manchen Departements im Elsaß und im Westen des Landes heute keine politische Rolle mehr spielt, da mußte das Politbüro ein langgehegtes Tabu brechen, um bei den letzten Parlamentswahlen noch über die Zehnprozentmarke zu gelangen: 1988 wurden populäre kommunistische Bürgermeister als Kandidaten aufgestellt. Das kam beim Wähler zwar gut an, schuf aber eine potentielle Gegenmacht zur Parteiführung. Denn die lokal abgesicherten Bürgermeister haben häufig gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den Sozialisten vor Ort gemacht und sind weniger leicht von der Parteiführung herumzukommandieren. Nicht wenige Erneuerer, so in Orly, Le Mans oder Saint Denis gehören zu diesen selbstbewußten Notablen.
Doch als die Reformer am Jahresende zum Angriff auf das Hauptquartier bliesen, blieb es zu deren Überraschung in den Reihen der Parlamentsfraktion erstaunlich ruhig. Tatsächlich scheint die Mehrzahl der 1.098 Bürgermeister und der rund 50.000 kommunistischen Funktionsträger loyal zum Politbüro zu stehen, dem sie schließlich auch ihr Pöstchen verdanken. Und überhaupt: Was hat Temeswar mit der Schließung des Renault-Werks in Billancourt zu tun?
„Die Affäre ist beendet. Marchais hat es mit einem einzigen Fernsehauftritt geschafft, die durch Rumänien verwirrte Basis wieder auf sich einzuschwören: Schließt die Reihen, sonst nützt es dem Klassenfeind - dieser Appell wird in Frankreichs KP immer noch gehört“, resümiert Stephane Courtois.
So ist das letzte Gefecht der Reformer wieder einmal aufgeschoben. Die französischen Kommunisten werden vermutlich weiter Wählerstimmen verlieren und sich zu einer kleinen, aber effizienten und lupenrein leninistischen Partei abspecken. Mit ihrer Presse, ihren durch die kommunistischen Stadtverwaltungen beträchtlichen finanziellen Möglichkeiten und der hohen Disziplin der Aktivisten ist die KP eine nach wie vor ungemein effektive Maschine, um soziale Kämpfe vor Ort zu führen. Welch schönes Paradox: Gerade im Land der Bürgerfreiheit, wo sich der Diskurs der universellen Menschenrechte wie eine Plastikfolie über jede Kleinigkeit legt, wird sich diese zentralistische Kaderpartei PCF halten wie eine welke Nelke unter Zellophan.
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