: In „eigener Verantwortung“ - aber wie lange noch?
In der DDR gibt es seit 1972 eine Fristenlösung für Abtreibung / Schwangerschaftsunterbrechung ist bis zur zwölften Woche erlaubt / Doch die Angriffe auf das Gesetz häufen sich / Ärzte fordern finanzielle Beteiligung der Patientinnen / Die Ost-CDU möchte das Gesetz kippen ■ Von Ulrike Helwerth
Berlin (taz) - Ob sie noch nicht begriffen hätten, wie schlimm eine Abtreibung sei, brüllte der Sprecher ins Mikrophon. Der evangelische Pfarrer, der hier aufs höchste erregt gegen Schwangerschaftsabbruch wetterte, sprach gar von Mord. Dann entspann sich auf der Delegiertenkonferenz des Neuen Forums Ende Januar eine hitzige Diskussion - unter Männern. Der Tagesordnungspunkt hieß: „Selbstbestimmungsrecht der Frau“. „Wir Frauen waren entsetzt und empört. Weil wir überrascht sind, daß diese Diskussion jetzt auch bei uns anfängt“, erklärte später Irena Kukutz, Vertreterin des Neuen Forums im Ausschuß „Gleichstellung von Mann und Frau“ des Runden Tisches.
Schwangerschaftsunterbrechung ist in der DDR bis zur zwölften Woche mit geringen Einschränkungen erlaubt. Bis zu diesem Zeitpunkt kann jede Frau „in eigener Verantwortung“ entscheiden, ob sie das Kind austragen will oder nicht (siehe Dokumentation). Der Eingriff und der anschließende Krankenhausaufenthalt wird von der Sozialversicherung bezahlt - zumindest bisher. Denn es mehren sich bereits die Versuche, dieses Gesetz zu Fall zu bringen. Vor kurzem meldeten sich zum Beispiel Ärzte in der DDR öffentlich zu Wort und forderten die finanzielle Beteiligung der Patientinnen am Eingriff. Begründung: Trotz der vielen Empfängnisverhütungsmethoden nutzten zu viele Frauen die „Interruptio“ zur Familienplanung. Neben den gesundheitlichen Risiken werde außerdem auch ein erheblicher Teil der medizinischen Kapazitäten durch diese Eingriffe gebunden.
Jede vierte Schwangerschaft in der DDR wird abgebrochen, meldete die Nachrichtenagentur 'adn‘ im Dezember 1989. Im Jahr sollen das rund 90.000 sein. Kirchliche Veröffentlichungen sprechen gar von zweieinhalb Abbrüchen auf drei Geburten. Zahlen, die besonders die Ost-CDU alarmieren. CDU-Chef de Maiziere brachte dieses Thema schon auf dem Sonderparteitag Mitte Dezember aufs Tapet. In seinem Grundsatzreferat „Erneuerung und Zukunft“ ging es unter anderem um den Schutz des ungeborenen Lebens, „der auch durch das Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch vor allem aber durch die Praxis seiner Anwendung in Frage gestellt worden ist“. Im übrigen dankte er den „Unionsfreunden und Unionsfreundinnen, die damals den Mut hatten, gegen dieses Gesetz zu votieren“.
Damals, das war im März 1972, als das „Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft“ in der Volkskammer verabschiedet wurde - das erste Gesetz, das nicht einstimmig angenommen wurde. 14 Abgeordnete votierten dagegen, acht enthielten sich der Stimme. Und es blieb stets umstritten. Unter der SED-Herrschaft konnten sich die Gegenstimmen jedoch nur leise artikulieren. Allerdings formierten sich bereits seit geraumer Zeit Gruppen von „LebensschützerInnen“ im kirchlichen Rahmen. Sie gehen mit Ton-Dia-Material, dessen O-Ton von Ohrenzeuginnen unschwer als Bayerisch identifiziert werden konnte, auf Vortragsreise. Mit der „Wende“ werden diese Stimmen nun lauter.
Abtreibung war bisher in der DDR kein öffentlich diskutiertes Thema. Das Recht zum Schwangerschaftsabbruch in „eigener Verantwortung“ bekamen die Frauen vom paternalistischen Staat „geschenkt“ wie alle anderen Rechte und sozialen Leistungen auch. Und Frauen nahmen es als Selbstverständlichkeit hin, auch wenn es an der ärztlichen Behandlung und der Durchführung der Eingriffe erhebliche Kritik gibt. Daß das Gesetz bleiben muß, darüber waren sich bisher auch viele christdemokratische Frauen einig. Zum Beispiel Ingvelde Rödelstab, Leiterin der Abteilung Bildung, Familie, Jugend beim Hauptvorstand der Ost-CDU: Zwar findet sie 90.000 Abtreibungen jährlich „unverantwortlich“ und plädiert für den Schutz des ungeborenen Lebens, für bessere Aufklärung in den Schulen (besonders bei den Minderjährigen sollen die Abtreibungszahlen in den letzten Jahren drastisch gestiegen sein), bessere Verhütungsmittel, mehr Krippenplätze etc. Aber es ginge eben auch um den Schutz des geborenen Lebens, deswegen solle das Gesetz so bleiben, wie es ist. Das ist Frau Rödelstabs „persönliche Meinung“, die aber von vielen „Parteifreundinnen“ geteilt werde. Doch es gibt bereits andere Stimmen. Auf dem Gründungskongreß der gesamtdeutschen „Frauenunion“ - eine Initiative von West -CDUlerinnen - vergangenes Wochenende in Ost-Berlin, stellten Kritikerinnen des Unabhängigen Frauenverbandes der DDR die Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Dafür gab es Buh-Rufe und die Antwort: „Das brauchen wir nicht.“ Zwei Wochen vorher allerdings hatte eine deutsch -deutsche Kommission zur Gleichstellung von Frauen und Männern ein gemeinsames Papier beschlossen. Darin steht u.a.: „Frauen aus beiden deutschen Staaten setzen sich ein für das Recht von Frauen, über ihren Körper selbst zu bestimmen, einschließlich des Rechts auf selbstbestimmte Schwangerschaft und auf kostenlosen Schwangerschaftsabbruch.“ Unterschrieben wurde es nicht nur von Vertreterinnen des ganzen politischen Spektrums der DDR
-von der CDU bis zur Vereinigten Linken, auch West -CDUlerinnen setzten ihr Servus darunter. Aber Papier ist geduldig und ob die christlichen Frauen diese Position offensiv in ihre Parteien tragen werden, steht sehr in Frage.
Und warum sollte der Anschluß der DDR an die BRD ausgerechnet in punkto Abtreibung Frauen einen Fortschritt bescheren, nachdem die bundesrepublikanische Frauenbewegung in dieser Frage seit 20 Jahren eine Niederlage nach der anderen einstecken muß? In der BRD gilt nach wie vor: Die Fristenlösung ist verfassungswidrig.
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