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Atomwaffenfrei in der Nato vereinigt?

Denkschrift von Hermann Scheer und Heidemarie Wieczorek-Zeul: Nuklearwaffen abziehen, Nato-Oberkommando auflösen / SPD nicht einig über künftigen Militärstatus Deutschlands  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

In der anhaltenden Debatte über den militärischen Status eines vereinigten Deutschland kommen jetzt aus der SPD unterschiedliche Vorschläge. Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine, der sich bereits früher einen zwischen Deutschen und Franzosen wechselnden Oberbefehl in Europa vorstellen konnte, will für das künftige Deutschland keine Nato -Mitgliedschaft, sondern die Einbettung in eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft.

Einen anderen Akzent setzen der abrüstungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hermann Scheer, und das Präsidiumsmitglied Heidemarie Wieczorek-Zeul in einer gestern vorgelegten Denkschrift: „Die Aufrechterhaltung atomarer Bewaffnung auf deutschem Territorium ist unvereinbar mit der deutschen Vereinigung.“ Eine vorläufige Nato-Mitgliedschaft müsse mit dem Abzug aller Atomwaffen von deutschem Boden und der Auflösung der gemeinsamen Nato -Oberkommandos verbunden sein.

Die Denkschrift lehnt eine deutsche Vereinigung in der real existierenden Nato als „nicht akzeptabel“ ab, hält aber zugleich die Verweise der SPD-Sicherheitspolitiker auf eine Europäische Friedensordnung für „nicht ausreichend“. Der bisher fehlende Zwischenschritt zu einer derartigen Friedensordnung soll nach Scheer/Wieczorek so aussehen: Die Nato gibt die militärische Integration ihrer Streitkräfte, ihre gemeinsamen Oberkommandos und ihre Strategie der nuklearen Abschreckung auf. Alle Nato-Staaten bekommen unter Rückgriff auf den Wortlaut des Nordatlantik-Vertrags von 1949 - den gegenwärtigen Status von Frankreich. Es gäbe dann kein atomares Potential der Nato mehr, sondern nur „autonome“ Nuklearwaffen von Großbritannien, Frankreich und den USA. Die im Rahmen der Nato stationierten ausländischen Truppen sollten von deutschem Boden abgezogen und die Truppen der alliierten Siegermächte bis zu einem „symbolischen Restbestand“ drastisch reduziert werden.

Die deutsche Mitgliedschaft in einer derart entflochtenen Nato wäre für die Sowjetunion vorläufig akzeptabel, heißt es in der Denkschrift. Das vereinigte Deutschland müßte aber zugleich Regelungen unterworfen werden, „die auf eine weitgehende Entmilitarisierung hinauslaufen“: Die Reduzierung der deutschen Streitkräfte und eine defensive Ausrüstung sollte von einer Europäischen Rüstungskontrollagentur mit Sitz in Berlin überwacht werden. Eine derartige Kontrolle der Deutschen wäre ein „Vorgriff“ und „beispielgebend“ für die spätere Ausweitung auf alle Länder der Europäischen Friedensunion.

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