: REPRESSIVE GEDULD
■ „Die Liebesgeschichte des Jahrhunderts“ im Kroll-Theater
Erst ist sie die aufopferungswillige Heilige, die dem Armen Speisung bringt und den Speichel abwischt. Wird ihr die Belastung zu viel und beginnt sie, sich wieder um ihre eigenen Belange zu kümmern, wird sie Egoistin genannt und dann eine solche, die den Kranken ins Grab bringen will, um ihre Krallen in das Fleisch des nächsten Mannes zu schlagen. Die Fachliteratur schließlich beschimpft sie als herrschsüchtiges Weib, die den Schwachen für ihr Selbstwertgefühl braucht und deshalb an der Genesung hindert.
Uta Wirth spielt im Kroll-Theater die Ehefrau eines Alkoholikers. Die Liebesgeschichte des Jahrhunderts heißt das Stück von Märta Tikkanen, Autorin auch von Wie vergewaltige ich einen Mann. Der Einfraumonolog ist autobiographisch. Tikkanen erzählt von ihrem alkoholabhängigen Angetrauten, von der Familie, den vier Kindern. Wirth steht auf kahler, schwarzer Bühne, gepflegter Zweiteiler, lockige halboffene Haare, und eröffnet: „Wenn diese Suffperiode nicht die letzte ist, dann gehe ich. Wenn er seine Gehässigkeit an den Kindern ausläßt, dann gehe ich. Und sollte er jemals die Hand gegen mich erheben, dann gehe ich. Wenn die Kinder es nicht mehr aushalten, dann muß ich ganz einfach gehen. Und all das passierte. Trotzdem bin ich nicht gegangen. Warum?“
Die Antwort kommt nicht gleich. Über eine Stunde breitet Wirth die Einzelheiten der Beziehung aus. Angefangen von dem Ekel, den sie vor dem Mann empfindet, wenn er mit ihr schlafen will, egal, welche wie stinkende Fahne er ihr gerade ins Gesicht rülpst. (Und sie schläft mit ihm.) Von ihrem Widerwillen, für ihn Anrufe abzuwimmeln und ihm seine soziale Position zu sichern. (Und sich sichert sie ihm.) Über das ungewiße bange Warten, wann seine nächste Suffperiode beginnt, sein Gerede von Selbstmord, seine Tobsuchtsanfälle, seine Ungerechtigkeiten. Und schließlich von den verheerenden Auswirkungen auf die Kinder, die halbparanoid durch die Wohnung schleichen, während ihr Vater seiner Frau was von „verkorkster Kindheit“ vorjammert - auch sein Vater war Alkoholiker. (Und sie hört ihm zu und glaubt die Selbstmordpläne und läßt es zu, daß die Kinder den Vater trösten müssen, wenn die Mutter gerade zur Notapotheke eilt.)
Die intimen Details erschrecken, auch, weil sie so viele Verhaltensmuster trockener Beziehungen präsentieren. Ritualisierte Streits, die den Bezug zu ihrem Gegenstand längst verloren haben, das Umdrehen im Bett: „Jetzt schlaf doch endlich!“ Dann aber klar die Besonderheiten, wenn der Mann abhängig ist: Der irrwitzige Versuch der Frau, zu retten, was zu retten ist, den Schein nach außen, die Beziehung, den Mann und ihr Spagat zwischen dieser Illusion und der Gewißheit, ihm mit dem ganzen besorgten Brimborium nur die Sicherheit zu geben, in Ruhe seinem Alkoholismus frönen zu können.
Das Stück beschränkt sich aufs Familienlieben. Daß auch eine Gesellschaft existiert, die Menschen erst abhängig macht, wird wohl als Wissen vorausgesetzt. Eine genauere Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen würde den Rahmen des Stücks sprengen, die private Philosophie der Beschränkung auf die subjektive Perspektive der Protagonistin läßt sie nicht zu. Nur einmal guckt Wirth nach draußen: Die Reichen, die können es sich leisten, ihr Abhängigkeit elegant zu kaschieren, mit dezenten Privatkliniken, Sekretärinnen und Abteilungsleitern, die die Arbeit in der Zwischenzeit für sie erledigen. Der Rest muß gucken, wie er am besten lügt.
Wirths Stimme schwankt - sarkastisch, bitter, spöttisch, zärtlich, und wenn sie Weinen simuliert, möchte man auf die Bühne stürmen und ihr ein Taschentuch reichen. Könnte der Mann doch hören, was sie dem Publikum zu sagen hat! Aber das weiß auch, daß es vergeblich wäre. Er verstünde wohl nur in wenigen lichten Momenten, dann am „zweiten oder dritten Tag der Suffperiode“, und hätte es nach Wiedereintritt in die Welt der Nüchternen längst vergessen.
Aber mit der Zeit wird der Monolog dubios: Was ist sie denn nun? Nur Opfer, bemitleidenswertes? Und noch einmal und noch einmal die Anklage nach vorn. Wenn Wirth wenigstens nicht ständig dummes Zubehör aus ihren wohl unendlich tiefen Rocktaschen zaubern würde, Salz verschütten und Körner ausstreuen, um sie dann wieder zusammenzukehren. Das kommt so unendlich weiblichtiefenbedeutsam. Statt mit der Stimme den Bogen zu spannen, bis der Pfeil endlich von der Sehne schnellen muß!
Die Antwort darauf, warum sie denn nicht gegangen sei, die kommt gar nicht. Nur leise wispert es dann kurz vor Verglimmen der Bühnenscheinwerfer: Sie hat ihm mit ihrer endlosen Geduld die Sucht ermöglicht, die Verantwortung für sein Leben abgenommen. Und sich den Weg ins Opferdasein selbst geebnet. Und damit sei das Stück zwingend den Frauen ans Herz gelegt, die trotz Frauenkalenders in der Tasche meinen, den Mann, unter dem sie leiden, jemals ändern zu können.
C. Wahjudi
Uta Wirth im Kroll-Theater, 10. bis 12. und 17. bis 19. März, um 21 Uhr.
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