: „Unsere Anwesenheit bei der Konferenz ist unerläßlich“
Polens Premier Mazowiecki auf der Suche nach einem polnisch-französischen Bündnis ■ D O K U M E N T A T I O N
Wird es bei Ihrem Frankreichbesuch - zusammen mit Präsident Jaruzelski - vor allem um die deutsche Frage gehen?
Tadeusz Mazowiecki: Es ist ein historisches Gesetz, daß Frankreich und Polen sich zusammentun, wenn die deutsche Frage in Europa wichtig wird. Wir werden mit Präsident Mitterrand und mit den Herren Rocard und Dumas über die Folgen der deutschen Einigung für die Nachbarn sprechen. Für unsere beiden Länder ist diese Frage besonders wichtig. Im übrigen erwarten wir von Frankreich eine Unterstützung, was die Frage unserer Beteiligung an den Sechser-Gesprächen zur deutschen Vereinigung angeht, die in Ottawa stattfinden werden.
Wie stellen Sie sich diese Beteiligung vor?
Zu Beginn dieser Konferenz müßte es einen besonderen Gesprächskreis geben, der der Sicherheit der deutschen Nachbarn gewidmet ist; an diesem Gesprächskreis wollen wir teilnehmen. Wenn es Zeit ist, die Nachkriegsperiode abzuschließen, dann muß Polen seine alten Alliiertenrechte geltend machen und sein Wort mitreden.
Ich denke, daß viele Länder uns unterstützen werden, selbst wenn einige fürchten, daß die Tagesordnung der Verhandlungen in Ottawa durcheinander gebracht wird. Wir sind nicht gegen sie, wir wollen sie nur vervollständigen. Frankreich wird uns hier sicher am besten verstehen.
Frankreich hatte in der unmittelbaren Nachkriegszeit dieselben Probleme wie wir heute - damals mußte Frankreich um seine Anwesenheit in den internationalen Instanzen kämpfen, wo wichtige Entscheidungen für das Land getroffen wurden. Heute zählen wir auf Frankreich. In diesem Punkt bin ich Herrn Dumas für seine Äußerungen neulich in Berlin sehr dankbar.
In den letzten Wochen ist es zu einigen Zweideutigkeiten bezüglich unserer Westgrenze gekommen; das hat uns in unserer Überzeugung bestärkt, daß unsere Anwesenheit bei der Konferenz unerläßlich ist.
Wie erklären Sie Kohls Starrsinnigkeit in dieser Frage?
Das möchte ich nicht erklären...
Aber nicht weil Sie davon keine Vorstellung hätten?
(lacht) Der Kanzler hat gerade auf das Junktim zwischen der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und den Reparationszahlungen verzichtet. Ich möchte hier also keine Urteile mehr abgeben über Dinge, die nicht mehr aktuell sind und die mich einigermaßen überrascht haben.
Aber Sie haben doch all diese Fragen bei Kohls Warschau -Besuch im November schon aufgeworfen. Waren da die Zweideutigkeiten nicht schon offensichtlich?
Ich hatte bei Kohls Besuch gedacht, daß wir uns in dieser Frage besser verstanden hätten.
Ich habe keinen Anlaß, Kohls guten Willen hinsichtlich der deutsch-polnischen Versöhnung in Zweifel zu ziehen. Was ich nicht akzeptieren könnte, wäre, wenn innenpolitische Betrachtungen derartig wichtige Entscheidungen beeinflussen würden.
Man hat oft gesagt, daß Kohl privat in dieser Frage viel klarer sein soll. Stimmt das?
Das kann ich Ihnen bestätigen. Aber in der Politik zählen nicht die Privatunterhaltungen...
Sie wollen letztlich einen Friedensvertrag mit Deutschland?
Ja. Übrigens waren nicht wir es, sondern die deutsche Seite, die mehrere Male auf das Fehlen eines solchen Vertrages hingewiesen hat, das eine definitive Entscheidung über die Grenzfrage hinausschiebt. Wenn man von einer Situation der Zweistaatlichkeit in eine Situation der Einstaatlichkeit übergeht, dann reicht eine einfache Übereinkunft nicht aus, man braucht einen Vertrag.
Kleines, aber entscheidendes Detail: Dieser Vertrag muß nach den Wahlen in der DDR abgeschlossen werden. Er müßte von den beiden Regierungen noch vor der Vereinigung paraphiert und nach der Vereinigung ratifiziert werden. Die BRD will den Vertragsabschluß erst nach der Vereinigung. Dieser Unterschied ist essentiell.
Welche Fragen müßten in diesem Vertrag geregelt werden?
Wir wollen vor allem über die Bestätigung unserer Grenzen reden.
Wollen Sie auch die Frage der polnischen Zwangsarbeiter des Dritten Reichs aufwerfen?
Wir haben das Problem bei Kohls Warschau-Besuch angesprochen; für uns handelt es sich um sehr bedeutsame individuelle Forderungen, die nicht nur die ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter betreffen, sondern auch die Opfer „medizinischer“ Experimente in den Konzentrationslagern.
Sollte diese Frage in einem etwaigen Friedensvertrag eingeschlossen sein?
Ich wiederhole, daß wir in bezug auf den Vertrag nur die Grenzfrage gestellt haben. Nicht wir haben die Sache um die Reparationsfrage erweitert.
Würden Sie ein neutrales oder ein Nato-Deutschland vorziehen?
Wir glauben langfristig nicht an die Möglichkeit eines neutralen Deutschlands, das Land ist zu groß. Wir unterstützen die Idee einer Neutralität im klassischen Sinne des Begriffs nicht. Das Problem des Gleichgewichts der Kräfte in Europa, mit dem sich die „Vier“ befassen müssen, ist noch etwas Anderes und muß gleichzeitig mit der Vereinigung geregelt werden.
Sollen die sowjetischen Truppen in Polen bleiben, bis der Vertrag mit Deutschland abgeschlossen ist?
Sicher, wir wollen, daß die Truppen zu gegebener Zeit zurückgehen, aber es stimmt, daß diese Fragen verbunden sind und daß wir keine Lösung wollen, die die Dinge für Gorbatschow komplizieren würden.
Der Warschauer Pakt wird bald nur noch eine formelle Existenz haben. Durch welche politische Ordnung könnte er abgelöst werden?
In den letzten Monaten hat sich die europäische Landschaft verändert. Man kann noch nicht sagen, daß die Bündnisse nicht mehr existieren oder keine Bedeutung mehr hätten. Sagen kann man nur, daß die Frage der zukünftigen kollektiven Sicherheitssysteme in Europa sehr dringlich ist. So betrachtet ist Francois Mitterrands Vorschlag einer europäischen Konföderation sehr wichtig.
Unser Vorschlag eines Rates für europäische Zusammenarbeit ist direkter, versteht sich aber nicht als Konkurrenz.
Die Annäherung der beiden Teile Europas müßte zwei Wege verfolgen: Der erste Weg setzt eine Öffnung bestimmter westeuropäischer Organisationen für die Länder des Ostens voraus; ich denke an Polens Eintritt in den Europarat und an eine Möglichkeit zur Verbindung mit der Europäischen Gemeinschaft.
Der zweite Weg bestünde in der Schaffung einer Instanz, die eine unmittelbare Kooperation aller europäischen Staaten ermöglichen würde - im Grunde handelt es sich nicht nur um die europäischen Staaten, denn sie beträfe auch die KSZE -Staaten, zu denen auch Kanada und die USA gehören.
Wie schlägt sich die Diskussion dieser Fragen in der polnischen Öffentlichkeit nieder?
All diese Fragen werden von den Polen mit größtem Interesse verfolgt. Alle Meinungsumfragen zeigen das. Sie zeigen auch, daß die deutsche Wiedervereinigung in keinem Land mehr gefürchtet wird als in Polen. Die Grenzdiskussionen der letzten Wochen sind mit äußerster Aufmerksamkeit verfolgt worden, und ich denke, daß meine Regierungserklärung dazu von allen politischen Gruppen unterstützt wurde, die Emigranten eingeschlossen.
Gibt das nicht Anlaß zu nationalistischen Übertreibungen?
Das ist in der Vergangenheit passiert, aber wir wollen das vermeiden. Im westdeutschen Fernsehen habe ich gesagt, daß die Position der BRD in all diesen Fragen ein Test für die deutsch-polnische Versöhnung ist, aber auch, daß wir diese Versöhnung brauchen. Diese Äußerungen sind im polnischen Fernsehen wiederholt worden, was beweist, daß wir auch zu den Polen über die Versöhnung sprechen.
Wir sind uns bewußt, daß wir bald Nachbarn eines vereinigten Deutschlands sein werden, daß wir zusammenleben und uns versöhnen müssen. Aber das schließt ein, daß es nicht die geringste Zweideutigkeit in der Grenzfrage geben darf. Diese Zweideutigkeiten würden eine Versöhnung unmöglich machen.
Gekürzte Fassung eines Gesprächs aus: 'Le Monde‘ von 9. März 1990
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