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„Für Danzig sterben?“

Eine französisch-polnische Achse gegen Kohl  ■ K O M M E N T A R E

Danke Helmut! Denn selten war Zeitunglesen in Frankreich für Deutsche so einfach wie in diesen Tagen. Basisdeutsch reicht aus, um auch längere Texte ohne Mühe zu verstehen. Dank des Kanzlers Reden hat sich nämlich der französische Wortschatz vieler Fremdwörter und Redewendungen erinnert, die man voreilig für längst ausgestorben hielt: „L'anschluss“ zum Beispiel ist ein zur Zeit sehr beliebter Begriff, ebenso „Blitzkrieg“ oder „Grosse Allemagne“. Gerne wird man in Frankreich auch vom Nachbarn an Geschichten erinnert, die nicht vergehen wollen. Als die Finanzkraft von MBB die Endmontage des Airbus von Toulouse nach Hamburg entführte, mußten manche Kommentatoren etwa an das Münchner Abkommen von 1938 denken, als die Tschechoslowakei an Hitlerdeutschland verkauft wurde. Damals, kurz vor Kriegsausbruch, hatte ein Buch großen Erfolg, dessen Titel fragte: Für Danzig sterben? Die Frage wurde verneint. Auch wenn Hitler sich polnische Gebiete einverleiben sollte, könne das für Frankreich kein Kriegsgrund sein. Und tatsächlich wurde, als die deutschen Truppen dann Polen wirklich besetzten, zwar formell der Krieg erklärt, doch kein einziger Schuß abgegeben. Das war vor ganz genau 50 Jahren, im März 1940. Der Angriff blieb aus - doch die Erinnerung daran, die Freiheit des Anderen der eigenen Sicherheit geopfert zu haben, blieb. Als vielbeschriebenes „Trauma“ ist sie in vielen außenpolitischen Initiativen Frankreichs aufzuspüren.

Fran?ois Mitterrand fordert jetzt die völkerrechtliche Anerkennung der polnischen Westgrenze noch vor der deutsch -deutschen Vereinigung. Und er besteht darauf, daß Polen bei den Sixpack-Verhandlungen am Mittwoch beteiligt wird, damit das Jahr I des postkommunistischen Europa nicht mit einem neuen Jalta beginnt. Polen und Frankreich, die beiden Nachbarn des künftigen großen Deutschlands, proben präventive Solidarität, damit Fragen wie „Sterben für Danzig?“ nicht mehr gestellt werden müssen. Es wäre falsch, Mitterrands Erklärung nur als diplomatische Höflichkeitsformel aufzufassen. Frankreichs Präsident hat sich die polnischen Forderungen zu eigen gemacht, um Kohl einem Lackmustest auf politische Rationalität zu unterziehen: Zeugen die Reden des Bundeskanzlers von Kryptorevanchismus oder „nur“ von verquerer Wahltaktiererei? Wenn Mitterrand jetzt quasi in letzter Minute noch diese Prinzipienfrage stellt, dann heißt das nicht nur, daß Kohl bereits viel Porzellan zerschlagen hat, sondern auch, daß Frankreich ein Land ist, das sein schlechtes Gewissen gegenüber Polen nicht so schnell vergessen hat, wie andere Staaten.

Alexander Smoltczyk

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