Richter Gerboth für Zucht und Ordung im Zivildienst

■ Statt Geldbuß acht Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung

Nicht allzu häufig fällt vor einem Gericht das Urteil höher aus, als es die Staatsanwaltschaft fordert. Bei Richter Gerboth, beim Amtsgericht Bremen für Wehr- und Zivildienststrafsachen zuständig, ist die Ausnahme die Regel. Mit viel persönlichem Engagement brummt der Richter, der auch Major der Reserve ist, seinen Klienten drastische Strafen auf. Ein Fall von vielen spielte sich gestern vor dem Amtsgericht ab.

Staatsanwalt Jürgen Keunecke wollte es für den Angeklagten Uwe M. so „billig“ wie möglich machen: Wegen eigenmächtiger Abwesenheit vom Zivildienst in sieben Fällen forderte er 90 Tagessätze zu 15 Mark, insgesamt also 1.350 Mark Geldstrafe, weil ihm in der Verhandlung klar geworden war, daß der Angeklagte selbst eigentlich dienstuntauglich und deshalb unschuldig in die Mühlen der Verwaltungsbürokratie geraten war. Doch Amtsrichter Hans-Joachim Gerboth verdonnerte M. „zur Wahrung der Disziplin im Zivildienst“ zu acht Monaten auf Bewährung.

Der Fall: Uwe M. bekam auf seiner Zivildienststelle im Diako vom ersten Tag an kein Bein auf den Boden. Die Pflegearbeit auf der Intensivstation machte ihn krank, die KollegInnen fingen wegen häufiger Krankmeldungen

an zu hetzen. Zunehmend unter Druck gesetzt, blieb er der Arbeit fern, meldete sich krank und versäumte die fristgerechte Benachrichtigung an seinen Vorgesetzten. Insgesamt fehlte M. unentschuldigt an 267 Tagen während der 20 Pflichtmonate. Zu dem Ärger auf der Arbeit kamen persönliche Probleme: Der Vater hätte den anerkannten Kriegsdienstverweigerer am liebsten bei der Bundeswehr gesehen, das Geld reichte nicht mehr (statt 1.600 Mark Gesellenlohn mußte M. mit 640 Mark auskommen), Jahresforderungen der Stadtwerke blieben unbeglichen (ein Jahr wohnte M. ohne Strom! ), die Wohnung wurde zwangsgeräumt.

Für Richetr Gerboth war all dies unerheblich. Den Angeklagten, darin war er sich mit dem als Zeugen geladenen Beauftragten für die Zivildienstleistenden im Diako einig, hielt er für einen ausgemachten Drückeberger. Gerboth: „Bei den vielen Krankschreibungen kann ja die Vermutung aufkommen, daß es sich bei dem Angeklagten um einen Schwerbeschädigten handelt. Hat er denn auf der Station je einen Finger krumm gemacht?“

Staatsanwalt Keunecke hielt dem Angeklagten zu Gute, daß er nicht aus ideologische Gründen im Sinne einer Totalverweige

rung gehandelt habe. Vielmehr hätten ihn „Lebensuntüchtigkeit, Antriebsarmut und Phlegmatik“ in seine Lage getrieben. Für die 90 Tagessätze a 15 Mark war sogar Verteidiger Günther Werner „dankbar“, der die Schuldzuweisung auf die „Charktereigenschaften“ seines Mandanten aber nicht gelten ließ. Für Werner verdeutlichte der Fall M., daß „Zivildienst keine bequeme Alternative zur Bundeswehr“ ist: „Da sind die Soldaten relativ behütet.“ Werner plädierte für eine Verwarnung mit dem Vorbehalt, daß die versäumten Tage nachgedient würden.

Die relativ niedrige Forderung des Staatsanwaltes hätte diesen Antrag begünstigt, doch Amtsrichter Gerboth machte eine dicken Strich durch die Rechnung des Anwalts. Der Angeklagte hätte permanent „durch Abwesenheit geglänzt“, sein Fall müsse an ähnlichen Fällen aus dem Bereich „Wehrdienst“ gemessen werden. Urteil: Acht Monate auf Bewährung und „als Einstimmung auf einen geregelten Arbeitsalltag“ 30 Tage gemeinnützige Arbeit. Bei vergleichbaren Prozessen an niedersächsischen Amtsgerichten ist die Verurteilung mit Strafvorbehalt keine Seltenheit. Markus Daschne