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Hermlin auf Wendekurs

■ Der DDR-Autor rechtfertigt sich jetzt mit den Fehlern anderer

Belin (dpa/taz) - Stephan Hermlin hat die umwälzenden Vorgänge in der DDR begrüßt. Die DDR habe sich „zu lange auf Positionen festgelegt, die veraltet sind“, sagte der 74jährige Autor in einem Gespräch mit der vom DDR -Schriftstellerverband herausgegebenen Zeitschrift. „Ich habe schon viele kritische Situationen in meinem Land durchgemacht, aber noch nie eine solche Entfremdung einer Regierung und einer Parteiführung von der Bevölkerung erlebt.“ Die DDR habe diese Änderung, „unsere Perestroika“, unbedingt nötig gehabt. Aus diesem Grunde habe auch jeder einsichtige Mensch „als das Schlimmste der letzten Zeit die von der DDR-Führung mutwillig eingegangene - ich würde schon sagen: Gegnerschaft zur Sowjetunion“ empfinden müssen, „die gar nicht anders als in katastrophalen Zuständen enden konnte“. Am Sozialismus hält Hermlin dennoch fest: er sei nicht überholt, wie manche glaubten, er sei vielmehr unersetzlich.

Wie alle Menschen mache auch er Wandlungen durch. Hermlin verwies darauf, daß er einmal drei lobende Gedichte über Stalin geschrieben habe, was er allerdings mit anderen Künstlern von Aragon über Picasso bis Becher, Brecht und Majakowski gemeinsam habe. Man könne eine große Zahl von wesentlichen Künstlern des 20. Jahrhunderts aufzählen, die Stalin zum Gegenstand ihres Werkes gemacht haben. Es gebe „mörderische Gestalten, die - fälschlich oder nicht - einen bestimmten Wert oder eine Vision verkörpern, zu denen die Kunst deshalb Zugang sucht“. Er erinnere außerdem daran, daß er vor 30 Jahren zusammen mit Anna Seghers als die einzigen gegen den Ausschluß von Heiner Müller gestimmt hätten. Auch bei der späteren „unerhörten Kampagne gegen Wolf Biermann, Sarah Kirsch, Volker Braun, Bernd Jentzsch und andere Autoren“ hätten nur zwei Mitglieder den Verband damals in längeren Reden aufgefordert, gegen die Ausschlüsse zu stimmen. „Einer der beiden war ich.“

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