: „Rau - Erfinder der politischen Schlaftablette“
■ Interview mit dem nordrhein-westfälischen CDU-Vorsitzenden und Bundesarbeitsminister Norbert Blüm „Ich bekämpfe alle Formen des Sozialismus, auch die nordrhein-westfälische“ / „Die SPD schmort geruhsam im eigenen Saft“
taz: Herr Blüm, glaubt man den Umfragen, so stehen Ihre Chancen, Ministerpräsident Rau am 13. Mai abzulösen, mehr als schlecht. Haben Sie überhaupt noch Lust, Wahlkampfveranstaltungen zu machen.
Norbert Blüm: Meine Lust ist ungebrochen. Die Prognosen haben mich noch nie beeindruckt. Es gibt Parteien, die hatten tolle Prognosen und schlechte Ergebnisse und umgekehrt.
Ihre letzten Wahlergebnisse waren auch nicht berauschend...
Berauschend nicht, aber so miserabel wie prognostiziert auch nicht.
Selbst CDU-freundliche Zeitungen schreiben, Sie seien vom Jäger zum Gejagten mutiert.
Ich fühle mich nicht als Gejagter. Richtig ist, daß wir es mit einer sehr satten SPD zu tun haben, die in ihrem eigenen Saft sehr geruhsam schmort. Richtig ist ebenso, daß die Mobilisierung der öffentlichen Meinung in NRW relativ schwerfällt angesichts der öffentlich-rechtlichen Medien, die sich mehr als Fortsetzung der SPD mit anderen Mitteln verstehen, denn als Hersteller von Chancengleichheit für alle politischen Konkurrenten. Von Fairneß kann beim WDR nicht die Rede sein.
Sie werden inzwischen auch aus den eigenen Reihen massiv kritisiert. Die SPD verbreitet auf Flugblättern die Äußerungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Hüsch, der Sie harsch angeht.
Das gibt es in jeder Familie, und das wirft mich nicht um, denn ich war zeit meines Lebens für ehrliche Kritik in der eigenen Partei. Das hat mich nie davon abgebracht, meine Linie zu ziehen. Der besagte Bundestagsabgeordnete macht zum Skandal, daß wir nicht mehr die Batterien für Hörgeräte bezahlen, was tatsächlich dazu führt, daß die Batterien nicht mehr wie bisher vier Mark, sondern nur noch eine Mark kosten. Der wirklich Bedürftige muß auch dies nicht bezahlen, denn da springt die Sozialhilfe ein. Und ich wette, daß es demnächst wiederaufladbare Hörgeräte gibt. Die sind nämlich nur deshalb nicht am Markt, weil die Krankenkasse bisher jeden Preis bezahlt hat.
Laut 'Spiegel‘ sagt Heiner Geißler, man könne nicht mehr vernünftig mit Ihnen reden und Sie hätten keine Zeit zum Nachdenken.
Heiner Geißler bestreitet, daß er das gesagt hat, aber ich bin nicht das Detektivbüro des 'Spiegels‘. Für mich ist viel überraschender, daß die SPD 'Spiegel'-Artikel als Flublätter verbreitet. Und der 'Spiegel‘ ist schon so tief gesunken, daß er der SPD die Pamphlete liefert. Armer 'Spiegel‘.
Sie haben im Kommunalwahlkampf die Deutschlandpolitik durch die Parole, „Dem Sozialismus laufen die Leute weg“, bewußt zum Thema gemacht. Das wollten Sie im Landtagswahlkampf fortsetzen. Was machen Sie, wenn am Sonntag ein Sozialdemokrat in der DDR zum Ministerpräsidenten gewählt wird?
Dann werde ich dieses Votum akzeptieren, denn ich bin Demokrat und nehme Wahlergebnisse hin, wie Wähler sie bestimmen. Ich bleibe trotzdem bei meiner Meinung, daß der Sozialismus am Ende ist.
Wenn die SPD die DDR-Wahl gewinnt, müßten Sie doch ihre Wahlplakate einstampfen, denn die Parole, „Dem Sozialismus laufen die Leute weg“, richtet sich dann ja gegen die SPD.
Wenn das einer bezweifelt, daß dem Sozialismus die Leute weglaufen, dann hat er keinen Fernseher.
In NRW ist die Parole auf die SPD gemünzt. Sie kämpfen hier nicht gegen die SED.
Ich sage es gegen den Sozialismus. Dabei habe ich nie in Zweifel gezogen, daß es verschiedene Spielarten des Sozialismus gibt und daß ich nie auf den Gedanken käme, den demokratischen Sozialismus mit dem stalinistischen zu vergleichen. Allerdings ist allen sozialistischen Varianten ein Hauptnenner gemeinsam: das Mißtrauen gegen individuelle Lösungen und private Initiativen. Daß der Sozialismus auch in seiner demokratischen Variante in die Sackgasse geraten ist, beweist gerade das Modell Schweden. Und auch der demokratische Sozialismus ist ein Genehmigungssozialismus mit dem Drang zur Vormundschaft. Ich bekämpfe alle Formen des Sozialismus, auch die nordrhein-westfälische.
Sie sind der einzige, der in der Rau-Politik in NRW ein sozialistisches Experiment erkennt.
Ja, der Rau ist der Erfinder der politischen Schlaftablette. Das ist richtig.
Ihre schärfste Kritik richten sie in letzter Zeit gegen Lafontaine. Ihm werfen sie im Zusammenhang mit den Übersiedlern das Schüren von Sozialneid vor. Inzwischen gibt es gewichtige CDU-Politiker, die Lafontaine in der Tendenz folgen.
Und wenn Sie alle für Lafontaine wären, wäre ich immer noch dagegen. Lafontaines Idee ist, nur noch jene in die Bundesrepublik zu lassen, die hier einen Arbeitsvertrag oder einen Wohnvertrag haben. Dies verstößt gegen das Grundrecht auf Freizügigkeit
Wenn ein Hamburger nach München geht, ohne Arbeit und Wohnung zu haben, landet er auf der Straße. Warum ist das unter den heutigen politischen Bedingungen in der DDR soviel anders, wenn ein Leipziger nach München geht?
Wer so etwas behauptet, kennt unser System der sozialen Sicherung nicht. Wenn ein arbeitsloser Hamburger nach München geht, kriegt er in München Arbeitslosengeld. Wer von Leipzig kommt, erhält kein Arbeitslosengeld, sondern Eingliederungsgeld, und das ist in der Nähe der Sozialhilfe. Wer anderes behauptet, läuft ungeprüft Parolen nach und versteht offenbar von Sozialpolitik soviel wie ich von der Weltraumpolitik...
Wenn ein Hamburger seinen Job schmeißt, kriegt er eine dreimonatige Sperre vom Arbeitsamt. Wenn ein DDR-Bürger freiwillig seinen Arbeitsplatz verläßt, bekommt er keine Sperre, sondern ein Eingliederungsgeld, das nahe bei der Arbeitsamtsunterstützung liegt.
Dies beweist erneut, daß Sie unser Sozialsystem nichtkennen. Der Hamburger, der freiwillig wechselt, bekommt während der Sperrzeit Sozialhilfe, der DDR-Bürger bekommt ein Eingliederungsgeld, das fast identisch mit der Sozialhilfe ist. Dem DDR-Bürger können Sie ruhig die Sperrzeit einräumen. Dann bekommt er halt Sozialhilfe. Für den Bundesdeutschen ist die Sperrzeit härter. Der fällt dabei von einem hohen Arbeitslosengeld auf vielleicht 900 DM Sozialhilfe.
Das ist genau die Ungleichbehandlung.
Der DDR-Bürger bekommt kein hohes Eingliederungsgeld, sondern der würde bei einer Sperre höchstens 100 Mark weniger haben.
Der eine bekommt die Sperre der andere nicht.
Aber bei beiden wirkt es sich gleich aus. Und wenn Sie glauben, daß die Übersiedler für 100 DM mehr oder weniger nicht in die Bundesrepublik kommen, dann will ich Ihnen diesen Kinderglauben gerne lassen.
Interview: Walter Jakobs
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